Elfriede Hammerl

Elfriede Hammerl Hautnah

Hautnah

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Eine Leserin schickte eine E-Mail, in die Betreff-Zeile schrieb sie: Asylpolitik hautnah. Was sie berichtete, hat sich in ihrem unmittelbaren Umfeld abgespielt. Hautnah geht unter die Haut.

Die Details der Geschichte kommen einem mittlerweile bekannt (oder zumindest nicht unwahrscheinlich) vor. Samstag, fünf Uhr Früh, Polizeitrupp vor dem Haus. Hausdurchsuchung, übrigens ohne Vorzeigen eines Durchsuchungs­befehls. Die Asylwerberin, um die es geht, wird später an ­ihrem Arbeitsplatz gefunden und festgenommen. Sie darf nicht einmal ihre Sachen packen. Willkür und Demütigung. Nackt muss sie sich ausziehen, Handschellen bekommt sie verpasst. Anwalt und Seelsorger werden nicht zu ihr gelassen.

Ihr Asylverfahren ist noch gar nicht abgeschlossen, der neuerliche Asylantrag, den der Rechts­anwalt bringt, wird, ­sobald er gegangen ist, von den Polizisten einfach zerrissen (erzählt die Asylwerberin später telefonisch denen, die sich um sie sorgen). Der zuständige Beamte auf der Bezirkshauptmannschaft hebt, obwohl er Bereitschaftsdienst hat, nach ein paar Anrufen, die die Asylwerberin betreffen, das Telefon nicht mehr ab. Am nächsten Tag wird die Asylwerberin abge­schoben.

Sie war, wie es so schön heißt, bestens integriert, spricht gut Deutsch, hatte nach fünf Jahren Aufenthalt endlich eine Arbeitserlaubnis sowie einen Arbeitsplatz und war rundum beliebt.

Die Leserin schreibt: Ein Arbeitgeber steht ohne Arbeiterin da, eine Vermieterin muss eine Wohnung räumen und weiß nicht, wohin mit den Sachen. Freunde werden getrennt. Es gibt Verträge, zum Beispiel mit der Telekom, die gekündigt werden müssen. Wer übernimmt dafür die Verantwortung und die Kosten? Wer ­kümmert sich um den Scherbenhaufen, der hinterlassen wird? Ja, wer? Gute Frage.

Ein Fall unter vielen. Viele empörende Fälle. Manchmal hat man das Gefühl, man kommt mit dem Sich-Empören gar nicht nach. Vielleicht ist das intendiert: dass uns die Empörung zu viel wird. Dass wir aufhören, uns zu empören, weil die Proteste eh zu nix führen.

Arigona: freiwillig ausgereist, um sich ihre angeblichen Chancen aufs Wiederkommen nicht zu verpatzen, seitdem im Kosovo, wo der Vater das neuerliche Asylansuchen ihrer Mutter und ihrer kleineren Geschwister erst einmal blockierte. Ausbildung auf Eis. Der kleine Fußballer, der aus Nieder­österreich in den Kosovo abgeschoben wurde und dessen Schicksal dazu führte, dass es in Wien ein „Freunde schützen“-Haus für gefährdete Asylsuchende gibt: verschollen. Die Zwillingsmädchen, die im „Freunde schützen“-Haus Zuflucht gefunden hatten: erst von schwer bewaffneten Polizisten ­inhaftiert, dann abgeschoben.

Und so weiter. Einige Schicksale sind öffentlich bekannt, andere Tragödien spielten sich in aller Stille ab. Die Behandlung der achtjährigen Zwillinge löste allerdings so viel Protest aus, dass sich nun einiges ändern soll. Die Innenministerin machte nicht nur deren Abschiebung rückgängig, sondern kündigt auch sensiblere Abschiebungen (vor allem von Familien) an, den Einsatz von KinderpsychologInnen, eine Ombudsstelle, die nochmalige Prüfung umstrittener Asylfälle. Mal sehen, was wirklich wird (außer ­Behördenstreitigkeiten, wer denn nun für was verantwortlich gewesen sei). Nach wie vor dräut ein neues Fremdenrecht, das die Aufenthaltsbedingungen für Asylwerbende noch einmal verschärft. Die darin vorgesehene Mitwirkungspflicht bedeutet, dass sie zunächst einmal wie Gefangene in der Erstaufnahmestelle bleiben müssen. Entfernen sie sich, droht die ­Abschiebung.

Irgendwie drängt sich der Verdacht auf, dass sich daran eine gewisse Behördenhoffnung knüpft: Je eher sich Asylwerbende eines Vergehens schuldig machen beziehungsweise je schwieriger es für sie wird, sich keines Vergehens schuldig zu machen, desto schneller kann abgeschoben werden.

Das Gefühl der Ohnmacht und der Hilflosigkeit, mit dem die Betroffenen zu kämpfen haben, kann niemand nachvollziehen, der oder die nicht in derselben Lage war. Aber der ohnmächtige Zorn, den wir StaatsbürgerInnen mittlerweile empfinden angesichts der Brutalität, mit der gegen Schutzsuchende vorgegangen wird, der ist auch nicht ohne.
Wir StaatsbürgerInnen? Nicht nur ein paar von uns? Nicht nur eine verschwindende Minderheit? Wo doch die Strache-FPÖ gerade so einen eindrucksvollen Wahlerfolg eingefahren hat?

Ja, die Stimmengewinne der Blauen in Wien sind erschreckend und beunruhigend. Aber folgt daraus, dass politisches Gestalten sich in vorauseilendem Gehorsam an einer Partei von Radaubrüdern orientieren muss, die im Übrigen – und das sollte helfen, die Kirche im Dorf zu lassen – immer noch weniger als ein Drittel aller Wiener Stimmen bekommen hat? Am 17. Oktober war der Wiener Stephansplatz voll von Menschen, die trotz Kälte im strömenden Regen für eine menschlichere Asylpolitik demonstriert haben. Und wer nicht hingegangen ist oder nicht hingehen konnte, gab damit noch lange keine Einverständniserklärung ab. Demos sind nur ein Mittel des Protests. Wer nicht am Ort einer Demonstration wohnt, artikuliert seinen Unmut anderswo, zum Beispiel im Internet1), wo sich immer mehr und immer wieder neue Plattformen bilden, auf denen Menschen kundtun, was sie ­wollen: einen respektvollen, humanen Umgang mit Mitmenschen, die unseren Beistand suchen.

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