Elfriede Hammerl

Elfriede Hammerl „In welcher Welt leben Sie?“

„In welcher Welt leben Sie?“

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1.

Und noch einmal das leidige Obsorgethema, denn: Es herrscht Begriffsverwirrung. Geradezu feministisch argumentieren militante Väterrechtler damit, dass schließlich auch Männer Kinder betreuen könnten. Kinder automatisch als zu den Müttern gehörig zu sehen sei biologistisch. Stimmt. Völlig richtig. Nur dass es beim Obsorgestreit hintergründig häufig ums Anschaffen und nicht ums alltägliche Sich-Kümmern geht.

Gemeinsame Obsorge im juristischen Sinn heißt ja nicht, dass der getrennt lebende Elternteil die Verpflichtung bekommt, sich im gleichen Ausmaß an der Versorgung und Betreuung des Kindes zu beteiligen wie der Elternteil, bei dem das Kind wohnt, sondern lediglich, dass er das Recht erhält, bei wichtigen Entscheidungen mitzubestimmen. Bedeutet: Der geschiedene, obsorgeberechtigte Vater muss zwar keineswegs seine Termine absagen, um beim fiebernden Kind zu bleiben (was von der Mutter selbstverständlich erwartet wird), aber er darf mitentscheiden, welchen Kindergarten das Kind besuchen soll.

Leider spielen bei Entscheidungen dieser Art manchmal finanzielle Überlegungen mit. Der unterhaltspflichtige ­Elternteil ist zum Beispiel gegen einen bestimmten Privatkindergarten (obwohl sich der von seinem Standort und seinen Öffnungszeiten her besser mit den beruflichen Verpflichtungen des anderen Elternteils vereinbaren ließe als der öffentliche), weil er befürchtet, dass sich seine Unterhaltsleistungen dadurch erhöhen könnten, und später plädiert er möglicherweise für eine kürzere Ausbildung (Lehre statt Studium), damit er früher von seinen Unterhaltspflichten entbunden ist.

Nein, nicht alle Väter sind so. Keineswegs. Aber den Vätern (und Müttern), die so sind, gibt die so genannte gemeinsame Obsorge die Möglichkeit, ihren Egoismus besser auszuleben. Deshalb will sie gut überlegt und im strittigen Einzelfall geprüft sein.

Wer diese Überlegungen vorbringt und vielleicht durch persönlich beobachtete Fälle illustriert, läuft freilich Gefahr, sogleich als Frustnudel abgestempelt zu werden, die ihr ­eigenes soziales Scheitern für repräsentativ erklärt. In was für einer Welt leben Sie?, fragt dann etwa die Justizministerin die Scheidungsanwältin in einer TV-Diskussion und fügt hinzu: In meiner Welt sieht es ganz anders aus.1) Und schon steht die Anwältin als merkwürdige Person da, die sich mangels erfolgreicher Sozialkontakte in dubiosen Kreisen herumtreibt.

Gesetze sind jedoch nicht dazu da, privilegiertes persönliches Erleben oder rosige Wunschwelten in Paragrafen zu gießen, sondern sie sollen allen Facetten menschlichen Verhaltens Rechnung tragen. Deshalb ist es grober Unfug, Fallbeispiele, die dem erwünschten Befund – der im Obsorgestreit darauf hinausläuft, dass mehr gesetzliche Rechte das Pflichtbewusstsein des nicht mit dem Kind zusammenlebenden Elternteils schon stärken werden – widersprechen, als Ausgeburt einer mieselsüchtigen Weltsicht abzutun. Ein ­realistischer Blick auf die Verhältnisse zeigt, dass es viele geschiedene Paare glücklicherweise schaffen, ihren Kindern auch nach der Trennung gute Eltern zu sein, dass aber überall dort, wo das nicht klappt, ein einfaches Kooperations­gebot nicht hilft. Solange die gemeinsame Obsorge auch als bloßes Dreinreden in den Alltag des praktisch alleinbetreuenden Elternteils umgesetzt werden kann, ist sie leider kein Patentrezept.

2.

„Bald sind wir zu acht“, betitelte der „Kurier“ (am 10. März) eine Story über eine Familie in Niederösterreich, die demnächst fünffachen Nachwuchs erwarte. Was die Zeitung als heitere Zukunftsaussicht ankündigte, war jedoch, man kann es nicht anders ausdrücken, zunächst einmal grob fahrlässiger Umgang mit der Gesundheit und dem Leben einer Frau. Denn eine Schwangerschaft mit und eine Entbindung von Fünflingen ist eine hoch riskante Angelegenheit mit ungewissem Ausgang.

Die Ärzte hätten, so wird der Fünflingsvater zitiert, seiner Frau und ihm empfohlen, die Zahl der Embryonen zu ­reduzieren, aber „welche der fünf Herzen, die schon zu schlagen begonnen hatten, hätten wir zum Schweigen bringen sollen?“

Schwierige Frage, in der Tat. Warum wurde sie den Eltern überhaupt zugemutet? Soll heißen: Warum wurden bei der In-vitro-Fertilisation so viele Eizellen befruchtet, beziehungsweise warum wurden der Frau so viele Embryonen eingepflanzt? Und warum spielte das schlagende Herz der Mutter, das durch die Belastungen der Schwangerschaft und der Entbindung extrem gefährdet war, bei der Entscheidung für die Fünflingsschwangerschaft offenbar keine Rolle?

Auch die Fünflinge waren durch den Beschluss, sie zu ­bekommen, keineswegs gerettet. Sie die üblichen neun Monate auszutragen war unmöglich. Sie mussten verfrüht per Kaiserschnitt entbunden und danach als Hochrisikopatienten auf die Intensivstation für Frühgeborene gebracht werden.

Um Missverständnissen vorzubeugen: Selbstverständlich sind der Familie so viele Wunschkinder wie möglich zu vergönnen. Aber fünf auf einmal – das bedeutet eine Art medizinisches Roulette. Die Verantwortung dafür sollte nicht bei überforderten Eltern liegen, sondern bei einer Gesetzgebung, die die Zahl einzupflanzender Eizellen von vornherein beschränkt.

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