Elfriede Hammerl: Der tägliche Irrsinn

Manchmal bin ich einfach nur verdammt müde. Und sauer. Und wütend.

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Gerade habe ich wieder eine Petition unterschrieben. Darin wird um Gnade gebettelt für eine Frau, die im Gefängnis sitzt, weil sie Menschenrechte für Frauen eingefordert hat. Wenn die Petition nichts bewirkt (was zu befürchten ist), bleibt sie viele Jahre eingesperrt, sofern sie die Peitschenhiebe überlebt, die ihr ebenfalls drohen.

Ständig unterschreibe ich solche Bittgesuche. Ständig lese ich von neuen oder alten Schikanen gegen Menschen, deren einziges Verbrechen darin besteht, eine Frau zu sein und sich dagegen ausgesprochen zu haben, dass Frauen schikaniert werden.

Ich unterschreibe Petitionen und Aufrufe, weil in irgendeinem Teil der Welt schon wieder Frauen dafür bestraft werden sollen, dass sie etwas so Selbstverständliches möchten wie ein Bankkonto eröffnen, einen Passantrag stellen, ohne männliche Begleitung auf der Straße gehen oder für sich entscheiden, ob sie ihre Haare bedecken wollen. Irgendwo finden sich immer Machthaber, denen es ein dringendes Bedürfnis ist, Frauen zu verachten und diese Verachtung in Gesetze zu gießen.

Ich schlage die Zeitungen auf und lese: In Turkmenistan lauert die Polizei seit einem Jahr autofahrenden Frauen auf und nimmt ihnen auf Befehl des Präsidenten den Führerschein weg.

Na schau. Kaum dürfen sie sich in Saudi-Arabien ans Steuer setzen, wird es ihnen anderswo wieder untersagt.

Frauen als ständige Provokation. In Zentralasien, wenn sie Auto fahren. Hierzulande, wenn sie sich nicht damit zufriedengeben, dass sie eh Auto fahren dürfen. Was denn nicht noch!

Hört das nie auf? Was für eine irrsinnige Welt.

Ja, auch Männer werden verfolgt, eingesperrt, diskriminiert, um ihre Menschenrechte gebracht. Wegen ihrer Hautfarbe, ihrer ethnischen Zugehörigkeit, ihrer Religion, ihrer Weltanschauung, ihrer politischen Aktivitäten, aber nie ausschließlich deshalb, weil sie Männer sind.

Frauen werden ganz selbstverständlich eingesperrt, in staatliche Gefängnisse oder in häusliche.

Doch die Diskriminierung von Frauen aus dem einfachen Grund, dass sie Frauen sind, die zieht sich durch die Weltgeschichte und ist bis heute weltweit üblich. Keinem Mann wird das Autofahren verboten, weil er ein Mann ist, nirgendwo. Keinem Mann wird der Zugang zu Bildung verweht, nur weil er ein Mann ist. Kein Mann wird eingesperrt, weil er ein Mann ist. Von keinem Mann, dessen Freiheit beschnitten wird, wird behauptet, zum Ausgleich habe er ja die Möglichkeit, diejenigen, die seine Freiheit beschneiden, durch Sex zu manipulieren. Keinem Mann wird gesagt: Du darfst zwar ohne Erlaubnis nicht vors Haus, du darfst zwar nicht wählen, keine Geschäfte abschließen, öffentlich den Mund nicht aufmachen, aber dafür verfügst du über geheime häusliche Kräfte, mit denen du Einfluss nimmst auf deine Söhne, und wenn du das nicht als Äquivalent erkennst zu allem, was dir vorenthalten wird, dann bist du ein schlechter Mensch.

Frauen werden ganz selbstverständlich eingesperrt, in staatliche Gefängnisse oder in häusliche. Sie werden aus den gleichen Gründen diskriminiert wie Männer – wegen ihrer Hautfarbe, ihrer Ethnie, ihrer politischen Aktivitäten, aber dazu auch noch wegen ihres Geschlechts. Unterprivilegierte Männer sind unterprivilegiert, weil sie zu einer gering geschätzten Klasse oder Rasse gehören, unterprivilegierte Frauen sind es doppelt, weil zum Klassen- oder Rassenmalus auch noch der des Geschlechts kommt.

Das alles ist nicht neu. Es ist so alt und so normal, dass den meisten Leuten das große Gähnen kommt, wenn du es ansprichst. Und während niemand über diese geradezu banalen Selbstverständlichkeiten in der ganz normalen Welt reden mag, geht der ganz normale Irrsinn weiter, läuft nebenbei und unerbittlich das ganze Programm der Diskriminierung wieder und wieder ab, werden Frauen weltweit alltäglich in häuslicher Gefangenschaft gehalten, geschlagen, sexuell misshandelt oder wenigstens am Autofahren gehindert. Es ist normal und üblich, dass sie ungebildet bleiben, weniger zu essen kriegen, im Krankheitsfall nicht behandelt werden. Es gilt als abnormal, wenn sie sich dagegen wehren. Dann werden sie verfolgt, bestraft und getötet.

Die Iranerin, für die ich gerade eine Petition unterschrieben habe, hat sich für Frauen eingesetzt, die ihrerseits gegen den Hijabzwang protestiert haben und denen deswegen die Todesstrafe droht.

Wie konnte sich dieser ganze Wahnsinn etablieren? Und warum scheint er unabschaffbar? Nein, es liegt nicht an den Frauen, die sich halt nicht so viel gefallen lassen sollen. Etablierte Machtstrukturen, weltliche wie religiöse, zu zerschlagen, ist etwas, was man nicht achselzuckend den Unterdrückten überlassen kann. Denen fehlen die Mittel. Und wenn sie trotzdem aufstehen, ist ihr Scheitern, siehe oben, oft vorprogrammiert.

An Stellen wie dieser kommen für gewöhnlich ermunternde Appelle. Den Mut nicht sinken lassen, weiterkämpfen, solidarisch sein – wir kennen die Litanei. Aber woher den Optimismus nehmen? Manchmal bin ich nur verdammt müde. Und sauer. Und wütend.

[email protected] www.elfriedehammerl.com