Elfriede Hammerl: Lustzwang

Elfriede Hammerl: Lustzwang

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Jetzt ist also eine Potenzpille für die Frau auf dem Markt, vorerst nur auf dem US-amerikanischen, aber wer weiß, wie bald auch bei uns. Zwei Mal hat die Food-and-Drug-Administration das Ding, das die Medien neckisch rosa ­Viagra oder auch Lustpille nennen, abgelehnt, mittlerweile wurde es zugelassen. Langzeitstudien fehlen, die Nebenwirkungen des Medikaments, das – im Unterschied zum echten Viagra – nicht fallweise, sondern ständig eingenommen werden muss, klingen abschreckend: Müdigkeit, Schwindel, Ohnmachtsanfälle.

Und worauf bekommt frau Lust, wenn sie das alles riskiert? Lust auf ungewaschene Typen im Feinripp-Leiberl und mit Alkfahne? Lust auf den adretten unbekannten Herrn, der ihr im Kaffeehaus gegenübersitzt? Lust darauf, jedes Mannsbild niederzureißen, das ihr über den Weg läuft? Lust auf Sex nach einem erschöpfenden Arbeitstag plus Kinderstress und Haushaltsplage? Lust beim Sex mit einem lieblosen Partner?

Der Unterschied zwischen dem Viagra für Männer und dem fälschlich sogenannten Viagra für Frauen ist fundamental: Das echte Viagra hilft, wenn einer will, aber nicht kann. Es kompensiert körperliche Schwächen.

Die rosa Pille hingegen soll Frauen dazu bringen, zu wollen. Wenn eine nicht will, obwohl sie könnte, dann hat das jedoch nichts mit physischen Unzulänglichkeiten zu tun, die einer Erektionsstörung vergleichbar wären. Lustlosigkeit spielt sich im Kopf ab.

Lustlosigkeit ist keine Fehlfunktion wie zu viel Magensäure und keine organische Abnützungserscheinung wie ein kaputtes Hüftgelenk. Lustlosigkeit kann viele Gründe haben, bei Frauen wie bei Männern. Denn auch Männer können lustlos sein trotz potenzieller Potenz. Sie könnten, wenn sie wollten, aber sie wollen nicht. Auch Männer sind müde, frustriert, abgekämpft, abgetörnt von einer lust- oder lieblosen Partnerin. Dagegen hilft auch ihnen kein Viagra.

Wie kommt es, dass an Frauen Lustlosigkeit auf einmal als Krankheit bekämpft wird? Noch vor wenigen Generationen wurde sie ihnen von Kirche und Gesellschaft geradezu vorgeschrieben. Sie hatten dem Ehemann zur Verfügung zu stehen, wenn und weil er „es“ brauchte, selber zu brauchen hatten sie sexuelle Erfüllung nicht. Zu Recht forderten die Frauen ihr Recht auf Lust ein, aber inzwischen ist daraus eine Pflicht geworden. Das Wollen mutierte zum Sollen. Was, sie mag nicht? Her mit der Pille, die den Schalter umlegt! Nur: So einfach ist es eben nicht. Es gibt keinen simplen Regler, der sexuelles Begehren einschaltet wie eine Lampe, die man bei Bedarf anknipst.

Die veröffentlichte Erfolgsbilanz der rosa Pille ist dem­entsprechend bescheiden. Statt 2,4 Mal kamen die Ver­suchs­­personen angeblich 4,9 Mal im Monat zu befriedigendem Sex, wobei ein Placebo ebenfalls eine Steigerung brachte, nämlich auf 3,9 Mal. Die Kommastellen sind in diesem Zusammenhang etwas rätselhaft, irgendwie sollte man annehmen, dass ein Orgasmus nicht in Zehntelprozent gemessen wird, aber sei’s drum – eine rauschende Performance schaut anders aus.

Wozu dann also das ganze Theater? Erstens, weil wir in einer Leistungs- und Wettbewerbsgesellschaft leben. Da darf der Leistungsdruck auf das Sexualleben nicht fehlen – alle sind aufgefordert, immerzu, jederzeit und bis ins hohe Alter ihr Äußerstes zu geben, Hochleistungssex lebenslang ist angesagt, demnächst werden die Krankenkassen einen Orgasmusnachweis verlangen, sonst keine Kostenübernahme für Zahnersatz, Sehbehelfe und Knieprothesen.

Zweitens und im Zusammenhang damit: Weil’s ein Geschäft ist. Viagra für Männer bringt Unsummen ein, da wird man doch den weiblichen Markt nicht auslassen!

Seit 1994 listet das Diagnosehandbuch der amerikanischen psychiatrischen Gesellschaft („Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders“, kurz DSM) weibliche Lustlosigkeit – im Fachjargon: verminderte sexuelle Appetenz – unter den sexuellen Funktionsstörungen der Frau auf. Mit anderen Worten: Nicht zu wollen ist krank. Und keinen Orgasmus zu kriegen beim Sex mit ­einem, dem frau zu Willen ist, obwohl sie eigentlich keine Lust dazu hatte, ist ebenfalls krank. Was liegt also näher, als Medikamente gegen diese Krankheiten auf den Markt zu bringen – vor allem, wenn 69 Prozent der WissenschafterInnen, die per DSM bestimmen, was krankhaft ist, mit der Pharmaindustrie verbandelt sind?

Ja, ganz richtig, gut zwei Drittel der MitarbeiterInnen am DSM haben Verbindungen zu den Pharmakonzernen. Das könnte einen zu der alten Henne-oder-Ei-Frage führen: Was war zuerst da – die angebliche Krankheit oder das angebliche Medikament dagegen?

Sexuelle Appetitlosigkeit kann auch eines von mehreren Symptomen einer depressiven Erkrankung sein, oh ja. (Nicht zufällig wurde der Wirkstoff, der jetzt in der rosa Pille zur Anwendung kommt, zunächst als Antidepressivum getestet.) Aber kein Bock auf Sex ist zunächst mal nicht pathologisch, sondern eine Reaktion auf lusttötende Lebensumstände. Und die Vorstellung, dass es eine Pille gäbe, die Frauen besinnungslos auch nach Ungustln schmachten ließe, ist schlicht gespenstisch.