Elfriede Hammerl

Elfriede Hammerl Mama weg II

Mama weg II

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Gutachterin fragt Mutter, ob Vater und Kind am ersten Märzsamstag zum gerichtlich vorgesehenen Interaktionstest kommen können. Die Mutter gibt die Frage an den Vater weiter und bietet an, das Kind zur Gutachterin zu bringen. Der Vater antwortet, er werde das Kind am ersten Märzsonntag um neun von ihr abholen. Die Mutter schickt ein neues Mail: Nicht um den Sonntag, sondern um den Samstag gehe es, und es mache ihr nichts aus, mit dem Kind zur Gutachterin zu fahren. Der Vater schreibt an die ­Gutachterin, die Mutter wolle ihm das Kind vorenthalten, sollte er es nicht um neun von daheim abholen dürfen, werde er den Termin absagen. Die Mutter rechtfertigt sich bei der Gutachterin: Sie habe doch nur klarstellen wollen, dass der Test nicht am Sonntag stattfinde. Außerdem würde das Kind gern länger schlafen, deshalb ihr Vorschlag, mit ihm erst um halb zehn zur Gutachterin zu fahren. Aber, bitte, neun bei ihr sei auch okay. Die Gutachterin schreibt später in ihr Gutachten: Die Mutter habe ein starkes Bedürfnis nach Kontrolle, was sich zum Beispiel zeige, wenn sie das Kind zur Interaktionsbeobachtung mit dem KV bringen möchte.

Ja, so kann es kommen, wenn eine Gutachterin in einem Obsorgeverfahren für eine Kindesmutter nichts übrig hat, während sie den Vater offenbar sympathisch findet.

+++ Was passiert, wenn Obsorge­entscheidungen auf einem einzigen Gutachten basieren +++

Die Mutter, der angebliche Kontrollfreak, hat ihr Kind inzwischen an den Vater abgeben müssen, denn das Gutachten, in dem sie in jeder Hinsicht schlecht wegkommt, galt dem Gericht als Evangelium, an dem nicht im Mindesten gerüttelt wurde. Schlecht weg kommt die Mutter unter anderem, weil sie laut Gutachten selten bedrückt, eher unabhängig, aufgeschlossen, anderen nahe, viel preisgebend, ihr Liebesbedürfnis offen ausdrückend, eher vertrauensselig ist. Klingt eigentlich sympathisch, ist aber nicht so gemeint, weil die Gutachterin daraus den Schluss zieht, sie habe ­wenig Neigung zur Selbstreflexion und eine wenig selbstkritische Haltung.
Ein nahezu wortidenter Vorwurf derselben Gutachterin findet sich auch in der Beschreibung einer anderen Mutter, der aufgrund des Gutachtens ebenfalls ihr Kind weggenommen wurde. Beide Mütter sind Akademikerinnen ­(Naturwissenschafterin und Universitätsprofessorin die eine, Juristin die andere), beide Mütter sind gewandt, eloquent und, ja, selbstbewusst. Kann es sein, dass Selbstbewusstsein, soziales Ansehen und Freude an einem qualifizierten Beruf eine zu begutachtende Mutter in den Verdacht mütterlicher Inkompetenz bringen? Offenbar. Aber warum? Weil Gutachten willkürlich und subjektiv sind?

Ich fürchte, so ist es, jedenfalls bis zu einem gewissen Grad. Die Vorstellung, dass so eine Sachverständige bzw. ein Sachverständiger gottgleich über den Parteien schwebt und nach ein paar Tests die Charaktere der Beteiligten mit MRT-Präzision durchschaut, um anschließend ein objektives Urteil auszuspucken, ist Wunschdenken. In psychologische Gutachten fließt die persönliche Ideologie der Gutachterin oder des Gutachters mit ein, das geht gar nicht anders. Menschen sind keine Maschinen. Bei Obsorgestreitigkeiten geht es um Gefühle, aber auch um gesellschaftliche Zielvorstellungen und Rollenbilder. Und während deswegen früher vor allem Männern die Fürsorgefähigkeit abgesprochen wurde, sind es jetzt offenbar selbstbestimmte Frauen, die der Unmütterlichkeit überführt werden.

Der Universitätsprofessorin beispielsweise legte die ­Gutachterin unter anderem ihre bisherigen Ortswechsel zur Last. Sie erscheint demnach als unstete Person, die ihrem Kind zu wenig Stabilität geboten hat. Tatsächlich ­gehören Ortswechsel aber ganz einfach zum Karriereverlauf von Wissenschaf­terInnen. Männliche Wissenschafter folgen ganz selbstverständlich der Berufung an andere Universitäten, auch sie haben meistens Familie. Darf eine gute Mutter keine akademische ­Karriere anstreben? Anscheinend nicht. Dass intellektuelle Frauen als unmütterlich eingestuft werden, zieht sich als Muster durch eine ­Reihe weiterer Gutachten, die inzwischen bei mir eingelangt ist.

Zum Ideologischen kommt, dass sich Gutachten nur rechnen, wenn man in möglichst kurzer Zeit möglichst viele davon erstellt. Deswegen hat sich in Österreich eine kleine Gruppe hauptberuflicher Psycho-GutachterInnen etabliert, die gewissermaßen am Fließband Beurteilungen fabriziert. Sie beherrscht den Markt, ihr – und ihrem Weltbild – begegnet man immer wieder.

Dass Beziehungsgeflechte und Persönlichkeitsstrukturen in schnellen Bestandsaufnahmen zutreffend erfasst und beurteilt werden können, darf indes bezweifelt werden. Das viel zitierte Kindeswohl bleibt da jedenfalls leicht auf der Strecke.

Was folgt daraus, außer Ratlosigkeit? Zumindest dieses: Gerichtsentscheide, die sich auf ein einziges Gutachten stützen, sind zweifelhaft. Richterinnen und Richter hätten die Pflicht, sich ein eigenes Bild zu machen, aus Gutachten, Gegengutachten (die in der Regel nicht vom Fließband kommen), Zeugenaussagen, bevor sie eine wohlüberlegte Entscheidung treffen. Die kann dann immer noch anfechtbar sein, aber wenigstens wäre sie eine anständig zustande gekommene anfechtbare Entscheidung.

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