Von Hass kann nicht die Rede sein. Von Abneigung gegen Rollenerwartungen schon

Elfriede Hammerl: Mannsbild

Mannsbild

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Ich würde, schreibt mir wieder einmal ein Leser, Männer für alle Übel in dieser Welt verantwortlich machen. Und wieder einmal bin ich ratlos. Wie kommt er darauf? Mein ganzes Leben lang tue ich genau das nicht. Ich be- und verurteile Menschen nicht aufgrund ihres Geschlechts. Ich sehe weder die Männer noch die Frauen als homogene Masse und fälle daher keine Pauschalurteile. Ich glaube nicht an eine weibliche und an eine männliche Natur, ­deretwegen Frauen und Männer an unüberbrückbaren Gegensätzen scheitern. Ich erzähle keine sexistischen Witze, weder über Blondinen noch solche von der Sorte „Als Gott den Mann schuf, übte sie nur“.

Wogegen ich bin, das sind gesellschaftliche Verhältnisse, in denen Frauen und Männer nicht die gleichen Chancen und Möglichkeiten haben. Man nennt das strukturelle Ungleichbehandlung. Die möchte ich abgeschafft sehen, nicht die Männer. Wogegen ich bin, das sind Rollenbilder, die ­individuelle Lebensentwürfe beschränken oder deren Realisierung verhindern. Was mich aufregt, ist ein Machtgefälle zwischen den Geschlechtern, das Frauen in weiten Teilen der Welt um ihre Menschenrechte bringt. Aber selbstverständlich unterscheide ich zwischen kollektiven Rahmenbedingungen und der Verantwortung des Einzelnen.

Trotzdem kriege ich regelmäßig den Vorwurf des Männerhasses um die Ohren geschlagen. Könnte mir egal sein, einerseits, doch andererseits geht’s dabei ja nicht um persönliche Kränkung, sondern um eine grundsätzliche Missinterpretation, die dazu dient, das sachliche Aufzeigen objektiv nachweisbarer Missstände als Hirngespinste gestörter Persönlichkeiten zu diskreditieren.

Also, neuer Versuch: Nein, der Mann als solcher ist weder böse noch schuldbeladen, nur weil er ein Mann ist. Und ja, auch Männer leiden unter gesellschaftlichen Erwartungen, die sie aufgrund ihrer biologischen Ausstattung erfüllen sollen, egal, ob das ihren Wünschen, Sehnsüchten und Begabungen entspricht.

Von selbstschädigendem Rollenverhalten war in dieser Kolumne letzthin die Rede, weil Männer tendenziell ihre Gesundheit vernachlässigen, häufiger alkoholkrank werden als Frauen und öfter Selbstmord begehen. Das war kein zynischer Selber-schuld-Befund. Rollenverhalten basiert ja nicht auf einer autonomen Entscheidung, sondern kommt durch Erziehung und soziale Erfahrungen zustande. Der Mann, der seinen Körper missachtet, Frust wie Freude in Alkohol ertränkt und sein problembeladenes Leben lieber beendet, als Hilfe zu suchen, ist einer, der gelernt hat, dass richtige Männer sich unzerstörbar fühlen, keine Unterstützung brauchen, nicht um Zuwendung winseln.

Zugegeben, der harte Kerl ist mittlerweile nicht das einzige Rollenmodell, das Männern zur Verfügung steht. Aber auch abseits allzu plumper Klischeefallen halten sich Zuschreibungen, die dem Mann im Bedarfsfall Stärke und ein Durchsetzungsvermögen bis hin zur Aggressivität abverlangen. Egal, ob das kolportierte Bild vom erfolgreichen Alphamann tatsächlich den Wunschvorstellungen der meisten Frauen entspricht, Männern wird jedenfalls beigebracht, dass Frauen – und Männer schon gar – nichts mehr verachten als einen Mann, der sich im Dunkeln fürchtet.

Wie sehr taffe Typen immer noch als die einzig respektgebietenden betrachtet werden, bekomme ich gerade durch die Reaktionen auf meinen jüngsten Roman „Zeitzeuge“ zu spüren. Mein Protagonist darin ist ein Anti-Held, ein Zögerer und Zauderer, der sich der permanenten Selbstvermarktung verweigert, beruflich nicht wirklich erfolglos, aber ein Versager, gemessen an den eigenen Ansprüchen. Ich halte ihn für eine sympathische Figur. Zu meinem Erstaunen wird in den Rezensionen mehrheitlich seine – ironisch gemeinte – Selbstdefinition übernommen, er kommt als gescheitertes Weichei rüber. Das hat er meiner Meinung nach nicht verdient. Ist Selbstkritik denn unmännlich? Im allgemeinen gesellschaftlichen Verständnis anscheinend schon.

Wären Sie lieber ein Mann?, wurde und werde ich bisweilen gefragt, denn auch das ist eine Klischeevorstellung: Die Feministin hasst Männer, weil es ihr versagt blieb, ­einer zu werden. Ist aber nicht so. Mir geht’s um mehr Gerechtigkeit, und nicht darum, auf der Seite zu sein, die von ungerechten Verhältnissen mehr profitiert.

Und außerdem hab ich genügend Einfühlungsvermögen, um mich in einen Mann zu versetzen, der vielleicht wenig Lust hat, kämpfen, erobern, vorangehen, beschützen zu müssen und anlehnungsstabil sein zu sollen. Nicht, dass Männer das durch die Bank wirklich wären – wie denn auch? –, aber allein den Anforderungsdruck stelle ich mir mühselig vor.

Geschlechterstereotype sind blöd, Rollenbilder fragwürdig, klischeehafte Erwartungen eine Zumutung – können wir uns darauf einigen? Falls ja, sollten wir zu ihrem Abbau beitragen, wo und wie es nur geht. Eine Welt, in der Mädchen nicht in den Kopf geschossen werden, wenn sie zur Schule gehen wollen, und junge Männer nicht Gefahr laufen, aus Gründen der Familienehre ein Messer in den Bauch zu bekommen, mutet tragischerweise wie ein utopisches Fernziel an. Aber welches sollten wir ansteuern, wenn nicht dieses?

Neu: Elfriede Hammerl, „Zeitzeuge“, edition ausblick

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