Elfriede Hammerl

Elfriede Hammerl Mörderische Wut

Mörderische Wut

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Viel böse Post zu meinem letzten Kommentar, in dem ein jüngst gefälltes Gerichtsurteil kritisiert wurde. Tenor: Sie haben nichts kapiert, das ist doch wohl klar, dass ein Mann in Wut gerät, wenn sich seine Frau scheiden lassen will.
Das kritisierte Urteil attestierte bekanntlich einem Gewalttäter, dass ihn die Scheidungsabsicht seiner Ehefrau in eine allgemein begreifliche Gemütsbewegung versetzt habe. Deshalb wurde ihm lediglich versuchter Totschlag statt ­eines Mordversuchs zur Last gelegt, was ihm eine vergleichsweise milde Strafe von sechs Jahren bescherte, obwohl er sein ­Opfer mit Messerstichen und einem Stahlrohr lebensgefährlich verletzt hat und wohl auch getötet hätte, wäre nicht der gemeinsame Sohn des Paares eingeschritten. Der Täter ist türkischer Herkunft, das Gericht begriff seine Gemütsbewegung vor dem Hintergrund seiner Herkunft. Und das wiederum führte zu einer Diskussion über die Frage, ob derlei ethnische und/oder kulturelle Rücksichtnahme mit unserem Rechtssystem vereinbar sei. Ich vertrat dabei die Ansicht, der Verweis auf den Migrationshintergrund des Mannes verschleiere, dass familiäre Gewalttäter, egal welcher Abstammung, hierzulande häufig mit unverständlicher Milde ­betrachtet würden.

Die böse Post kam diesmal ausschließlich von Männern, die sich einig waren in ihrem Ärger. Die erbosten Herren warfen mir übereinstimmend vor, dass ich meinerseits total begriffsstutzig sei, denn selbstverständlich sei die Wut eines Mannes, dessen Frau sich scheiden lassen wolle, eine allgemein begreifliche, ja natürliche Reaktion. Dass der Mann die Frau halb oder ganz umbringe, sei zwar nicht zu billigen, aber nachvollziehbar sei sein Gemütszustand allemal.
Das wiederum bestärkt meinen bereits geäußerten Verdacht: Der türkische Background spielt gar keine Rolle. ­Gekränkter (männlicher) Stolz wird offenbar auch unter ­österreichischen Eingeborenen als Entschuldigung für ­mörderischen Zorn gesehen.

Klar ist mir klar, dass es einem Menschen nicht wurscht ist, wenn die Partnerin (oder der Partner) nichts mehr von ihm wissen will. Schmerz, Trauer, Enttäuschung, Verzweiflung, Erbitterung, auch wütende Empörung („Warum tust du mir das an?“) – alles bis zu einem gewissen Grad verständlich, wenngleich nicht bis hin zur mörderischen Eskalation. Auf der emotionalen Ebene. Aber juristisch?
Unser Rechtssystem basiert auf der Forderung, dass Menschen ihren Emotionen und ihren egoistischen Wünschen nur so weit nachgeben, als sie die Persönlichkeitsrechte anderer nicht verletzen. Dass einer schwer frustriert ist, ­berechtigt ihn daher nicht, seine Frustration gewalttätig ­abzureagieren. Davon muss die Rechtsprechung ausgehen. Sieht sie seine Frustration als begreiflich im Sinne von strafmildernd an, stellt sie die Persönlichkeitsrechte seines ­Opfers infrage. Gewalt kann und darf nicht als verständliche und übliche Reaktion im Zusammenhang mit Scheidungen gewertet werden, weil die Selbstbestimmung der Beteiligten ein unantastbares Rechtsgut bleibt, auch wenn ein Partner gefühlsmäßig Probleme damit hat.

Dass unsere Gesetze unterscheiden, ob ein Mensch ­einen anderen vorsätzlich, im Affekt oder fahrlässig getötet hat, hat was für sich. Ein heimtückisch geplanter Mord aus Habgier ist nicht ganz das Gleiche wie ein Raufhandel, bei dem einer zu Tode kommt, so schrecklich in beiden Fällen das Ergebnis ist. Doch nicht immer fällt die Unterscheidung leicht. Gerade die allgemein begreifliche heftige Gemütsbewegung, die nach österreichischem Recht den Totschlag vom Mord trennt, ist, wie sich gezeigt hat, problematisch, weil die allgemeine Nachvollziehbarkeit – wenn man sie denn überhaupt in Betracht ziehen will – einem sich ändernden gesellschaftlichen Bewusstsein unterliegt.
Im vorliegenden Fall tritt zutage, dass sich doch noch nicht so viel geändert hat, wie man glauben möchte. Nach wie vor rangieren scheints patriarchale Macht- und Besitz­ansprüche vor dem weiblichen Recht auf ein selbstbestimmtes Leben (das diesfalls bloß ein Leben ohne Prügel hätte sein sollen). Jedenfalls legen das die zahlreichen (auch ­öffentlichen) Wortmeldungen nahe, denen zufolge das gewalttätige Ausrasten – oder zumindest das Ausrastenwollen – eines Mannes eben zu einem Trennungsszenario gehöre.

Und gerade dieses weit verbreitete Verständnis für männliche Kurzschlusshandlungen bei Scheidungen hätte, so geben manche Stimmen zu bedenken, in einem Prozess ­wegen Mordversuchs vielleicht zu einem noch milderen ­Urteil geführt. Denn ein Mordversuch wäre, anders als der Totschlag, der von Schöffen beurteilt wird, vor einem ­Geschworenengericht verhandelt worden, wo ausschließlich Laienrichter das Urteil fällen (während bei einem Schöffensenat ein Berufsrichter daran mitwirkt).
Es sei vorstellbar, heißt es, dass diese Laien, Volkes Stimme gewissermaßen, auch Volkes Meinung, soll heißen: die Meinung der Stammtische, vertreten hätten: Irgendwie hat er ja net Unrecht gehabt …
Man wird es nie wissen. Aber was sagt es aus, wenn wir vielleicht noch froh sein müssen, dass einer, der seine Frau abstechen wollte, wenigstens wegen Totschlags verurteilt statt möglicherweise von einem Mordversuch freigesprochen wurde, weil er ja kein kaltblütiger Mörder, sondern nur ein heißblütiger Mega-Macho ist?

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