Elfriede Hammerl: Ach, Rosamunde

Pilcher, germanisiert: Warum kommt humorbefreiter Superkitsch bei uns so gut an?

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Rosamunde Pilcher ist tot. „Kitschkönigin“, „Meisterin der Kitschprosa“, „Königin des Schnulzenromans“ wurde sie mit genüsslicher Häme in den deutschsprachigen Nachrufen genannt. Das liegt daran, dass ihr Name im deutschen Sprachraum fast aussschließlich mit einer Vielzahl unsagbar dummer TV-Filme verbunden wird, die das ZDF „nach“ Romanen von ihr anfertigen ließ und die von ZDF, ORF und SRG ausgestrahlt wurden. Mit Pilcher hatten diese Herz-Schmerz-Produktionen, in denen deutsche SchauspielerInnen unter angelsächsischen Rollennamen in kreuzbiederen Plots englischen Adel mimten, eher wenig zu tun. Ihr Name war das Etikett, das diesen Geschichten aufgeklebt wurde. Verfasst wurden sie von einer deutschen Drehbuchautorin nach den Vorstellungen deutscher FernsehredakteurInnen.

In den englischsprachigen Artikeln zu Pilchers Tod wird respektvoller über sie geschrieben. „Die Muschelsucher“ heißt das Buch, mit dem die englischsprachige Welt sie vor allem assoziiert und mit dem sie 1987, mit 63 Jahren, weltberühmt wurde. Es verdankte seinen Erfolg in erster Linie der Mundpropaganda eines begeisterten Publikums und hielt sich 49 Wochen auf der Bestsellerliste der „New York Times“. „Die Muschelsucher“ ist vielleicht kein hochliterarisches Meisterwerk, aber ein gut geschriebener, berührender, keineswegs schnulziger Roman über eine ältere Frau, die noch einmal den Spuren ihrer Jugendzeit und ihrer Familiengeschichte in Cornwall nachgeht. Die Story hat autobiografische Züge, denn auch Pilcher, damals noch Rosamunde Scott, verbrachte ihre Jugendtage in Cornwall. Ihr Vater, ein britischer Offizier, diente dem Empire in Indien; Frau und Tochter sahen ihn alle vier Jahre, wenn er Heimaturlaub bekam. Pilcher wurde also keineswegs durch eine kuschelige Familienidylle geprägt.

Die Liebesgeschichten darin – geschenkt; wirklichkeitsnah ist jedoch die Beschreibung tüchtiger, pragmatischer Hausherrinnen aus der ländlichen Grundbesitzerschicht.

Sie verließ die Schule, als der Zweite Weltkrieg ausbrach, lernte Stenografieren und verdingte sich als Sekretärin im Außenministerium. Dann ging sie zur Royal Navy und in deren Dienst nach Sri Lanka, damals Ceylon. In diesen bewegten Jahren habe sie unzählige Affären – beginnende, erblühte und zerbrechende – miterlebt, sagte sie einmal, das Personal und den Stoff habe sie in ihrem Gedächtnis gespeichert, und das sei die Basis ihrer Geschichten. Nach dem Krieg heiratete sie den Exoffizier und Textilunternehmer Graham Pilcher und ging mit ihm nach Schottland, wo sie vier Kinder bekam und großzog. Auch diese Lebenserfahrungen kann man in manchen ihrer Bücher finden.

Nein, ich bin keine ausgewiesene Pilcher-Kennerin. Ich habe „Die Muschelsucher“ gelesen und dann noch in diesen oder jenen Roman hineingeschaut. Die Liebesgeschichten darin – geschenkt; wirklichkeitsnah ist jedoch die Beschreibung tüchtiger, pragmatischer Hausherrinnen aus der ländlichen Grundbesitzerschicht, wo das Bargeld knapp ist und der Erhalt des Erbes eiserne persönliche Disziplin erfordert. Das war Pilchers soziales Umfeld, in dem sie sich gut auskannte. Die BBC, die ebenfalls Pilcher-Romane verfilmt hat, nahm ihre Milieuschilderungen ernst und übernahm sie in ihre Filme.

Die Wertschätzung, die Pilcher in englischen Literaturkreisen entgegengebracht wird, fußt auf dem Bild einer soliden Erzählerin, die dieses Talent zumindest mit ein paar seriösen Büchern bewiesen hat.

Eine Frau, die kein eigenes Geld verdient, kann auch keine gute Ehe führen.

In Interviews zeigte sie sich als lebenskluge, unsentimentale Person von trockenem britischen Humor. Als 80-Jährige sagte sie in einem Gespräch mit dem „Hamburger Abendblatt“ Sätze wie diese: „Ehe ist ein Job, kein Vergnügen.“ Und: „Eine Frau, die kein eigenes Geld verdient, kann auch keine gute Ehe führen.“ Und: „Frauen müssen aggressiv sein, wenn sie gleichberechtigt und erfolgreich sein wollen.“ Ein andermal antwortete sie auf die Frage, ob sie Weihnachten mit ihren Enkeln feiere: „Nein. 14 Kinder? Das wäre ja keine Feier!“ Was ihr böse Leserreaktionen eintrug.

Es blieb dem deutschen Fernsehen vorbehalten, Pilcher – seit dem Erfolg der „Muschelsucher“ familienintern nur noch „FA“ („Famous Author“) gerufen – als Fabrikantin von humorbefreitem Superkitsch im öffentlichen Bewusstsein zu verankern. Ms Pilcher hat gut daran verdient, wir brauchen sie nicht zu bedauern. Sie hätte dem, was der „Spiegel“ online eine „Verschmonzettung“ ihrer Werke nennt, nicht zustimmen müssen.

Es stellt sich allerdings die Frage, warum humorbefreiter Superkitsch gerade im deutschen Sprachraum so gut ankommt.

Es stellt sich allerdings die Frage, warum humorbefreiter Superkitsch gerade im deutschen Sprachraum so gut ankommt. Eskapismus gut und schön, aber Flucht vor dem Alltag müßte ja nicht Flucht in Adelskulissen und altbackene Rollenbilder heißen. Sehnt sich die deutschsprachige Fernsehzuschauerin tatsächlich mehr als andere nach intelligenzbereinigter Unterhaltung und einem Happy End mit Hochzeitsglocken? Oder ist sie nicht längst bereit für Erkenntnisse wie die, dass Ehe ein Job und kein Vergnügen ist?

Die Einschaltquoten scheinen dagegenzusprechen. Erklärt vielleicht, warum auch die Politik hierzulande ­wieder auf traditionelle Familienbilder setzt. Blöd nur, wenn die Hochzeitsglocken in der Realität kein anhaltendes Glück einläuten. Der Griff zur Fernbedienung hilft da gar nix.

[email protected] www.elfriedehammerl.com