Elfriede Hammerl

Elfriede Hammerl: Rückkehr des Heldentums

Vom bewaffneten und vom gewaltlosen Widerstand.

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Inzwischen haben Millionen Menschen das Video gesehen. Plötzlich taucht neben der Nachrichtensprecherin des russischen Staatsfernsehens, als sie gerade auf Sendung ist, eine junge Frau auf und hält ein Schild in die Kamera. „No War“ steht darauf und ein Text in Russisch, der sagt: „Stoppt den Krieg. Glaubt der Propaganda nicht. Hier werdet ihr belogen!“

Sechs Sekunden später ist die Frau vom Bildschirm verschwunden, man sieht irgendwelche anderen Bilder. Eine Heldin! Eine Heldin des gewaltlosen Widerstands. Sie heißt Marina Owsjannikowa.

Ja, sagen die (vorwiegend männlichen) Realisten, dafür sitzt sie jetzt 15 Jahre in einem russischen Gefängnis, und Putin legt weiterhin die Ukraine in Schutt und Asche.

Für die Realisten ist der bewaffnete Widerstand angesagt. Aufrüsten. Militarisieren. Zähne zeigen. Alphatiere werden nur durch Alphatiere auf Abstand gehalten!

Aber Putin legt einstweilen weiterhin die Ukraine in Schutt und Asche.

Dieses verbrecherische Kapern eines Landes macht fassungslos, keine Frage. Wie kommt es, dass ein einzelner Mensch in der Lage ist, über den, drücken wir es ruhig drastisch aus, Fortbestand der halben Welt zu entscheiden? Wenn man die verstörenden Bilder der Zerstörung sieht, zerbombte Häuser, verwüstete Landstriche, durch die verzweifelte Menschen stolpern, gezwungen, ihr gewohntes Leben, ihre Sicherheit, ihr kleines Glück hinter sich zu lassen, dazu Kinder, um ihre Zukunft gebracht (denn diese traumatischen Erfahrungen werden sie nicht wieder los) – dann könnte man vor Wut und Zorn schon außer sich geraten. Aber wohin gerät man dann? Mitten hinein in einen sich ausweitenden Krieg?

Ja, Putin muss gestoppt werden, aber, da ist sich die westliche Politik zum Glück noch einig, nicht um den Preis eines Weltkrieges. Doch die allgemeine Stimmung tendiert sehr in Richtung Kampfbereitschaft, und das macht ebenfalls Angst. Serbien muss sterbien, jeder Schuss ein Russ – die Gemütslage, die einst solche Parolen hervorbrachte, ist nicht mehr so unvorstellbar wie damals, als sie im Geschichtsunterricht vorkamen. In den sozialen Medien verdichtet sich das Entsetzen über Putins Vorgehen zu Vergeltungsfantasien, und Schreibtischkämpfer rufen das große Risiko aus. „Wenn Putin den Atomkrieg will, dann kann er ihn kriegen“, twittert einer. Andere gehen nicht so weit, aber auch für sie ist klar: Heldentum definiert sich durch die Bereitschaft zur (Gegen-)Gewalt.

Stell dir vor, es ist Krieg, und jeder geht hin.

Nein, jeder nicht. Vor allem nicht jede. Vielleicht sind Frauen ja doch friedlicher, denn es fällt auf, dass vor allem Kommentatorinnen sich kritisch mit den Begriffen Heldentum und Kampfbereitschaft auseinandersetzen. „Bei den Worten Helden und Krieg zucke ich zusammen“, schreibt zum Beispiel Alice Schwarzer in der aktuellen EMMA. „Denn ich weiß, jetzt wird wieder gestorben. Selten sind es dann die großen Helden, die sterben, es sind eher die kleinen Leute.“ Und im „Spiegel“ fragt Sabine Rennefanz angesichts einer „Reaktivierung alter Geschlechterrollen“ als Reaktion auf den Krieg: „Es gibt aber bestimmt auch in der Ukraine Männer, die nicht kämpfen wollen. Was ist mit ihnen? Warum gibt es kein Recht darauf, nicht kämpfen, also nicht töten zu müssen?“

Wie schön wär eine Welt, in der wir keine Held:innen brauchen.

Berechtigte Frage, und man könnte zudem fragen: Schließt Notwehr die Notwendigkeit mit ein, dabei eher untergehen zu müssen als nach Möglichkeiten für eine halbwegs annehmbare Kapitulation suchen zu dürfen? Welche Rolle werden Vorstellungen von tödlichem Heldentum und archaischer Mannesehre bei der Suche nach Verhandlungslösungen spielen? Wir wissen es nicht. Das ist beunruhigend.

Mag sein, dass Friedensliebe nicht ausreicht, um ein friedliches Leben führen zu können. Aber wenigstens sollten wir darauf bestehen, dass sich neben den Bildern der kämpferischen Helden auch andere Held:innenbilder im öffentlichen Bewusstsein etablieren: das Bild Marina Owsjannikowas. Die Bilder der Frauen und Männer (nach den Bildern sind’s wieder mehr Frauen), die in Russland öffentlich gegen den Krieg protestieren, obwohl sie dafür brutal ins Gefängnis geworfen werden. Oder die Bilder der Opernchöre, die in Odessa, Lemberg und Kiew auf offener Straße gegen das drohende Heranrücken der Zerstörer ansingen. Aber wie schön wär eine Welt, in der wir keine Held:innen brauchen.