Eva Linsinger: Bewegungstherapie

Niemand will mehr eine Partei sein. Damit befeuern ausgerechnet Politiker gezielt Politikverdrossenheit.

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Würden Sie einem Fleischhauer vertrauen, der Ihnen ein Steak verkaufen will und gleichzeitig ein Plädoyer für vegane Ernährung hält? Oder einem Fahrradhändler, der Radfahrer für ein permanentes Ärgernis hält? Oder einem Bankberater, der Ihnen erzählt, dass er den Kopfpolster als sichersten Aufbewahrungsort für sein Geld betrachtet? Kurz: Halten Sie ein gewisses Grundvertrauen in das eigene Produkt für notwendig, um Abnehmer dafür zu finden? Und das Gegenteil davon für absurd? Dann wird es bei der Nationalratswahl kniffelig.

Schon jetzt läuft ein bizarrer Distanzierungsprozess, in dem viele Parteichefs alles Mögliche sein wollen, aber partout nicht Vorsitzende einer Partei. Wenn politische Irrlichter wie der Wutbürger Roland Düringer nach dem Motto „Parteien sind pfui“ agieren und Sitze im Parlament verlosen wollen – geschenkt. Ein gewisses Maß an dadaistischem Unsinn muss eine Demokratie aushalten, die seltsame Truppe von Frank Stronach konnte ihr schließlich auch keinen nachhaltigen Schaden zufügen. Heikler wird die Gemengelage schon, wenn langjährige Spitzenpolitiker auf der Welle der Politikverdrossenheit zu surfen versuchen: Peter Pilz, der 31 Jahre auf dem Ticket einer Partei Karriere machte, stänkert gegen „Altparteien“ an. Sebastian Kurz, der sein ganzes Erwachsenenleben in der Politik verbracht hat, möchte keine Partei, sondern eine „Bewegung“ anführen. Die FPÖ, Vorbild für Populismus aller Art, war schon in den 1990er-Jahren zur F-Bewegung mutiert, die NEOS verstehen sich ohnehin als „Bürgerinnen_Bewegung“, was immer das sein soll. Da will Christian Kern auch nicht nachstehen und versichert eilfertig, seine SPÖ sei „schon seit 128 Jahren eine Bewegung“. Willkommen in der Post-Demokratie!

Diese Selbstdemontage von Parteien durch Parteien mutet wie ein billiger Etikettenschwindel an – mehr noch: Sie verstärkt ein Symptom, das sie zu bekämpfen vorgibt. Wenn Parteienvertreter systematisch Parteien diskreditieren, dann befeuern Politiker gezielt Politikverdrossenheit. Das ist so populistisch wie gefährlich: Wenn selbst Parteichefs offenbar nicht mehr an Parteien glauben, wer soll es sonst noch tun? Wenn Politiker lautstark den eigenen Berufsstand diskreditieren, wer soll ihnen dann noch vertrauen? Sind Politiker und Parteien gerade im Begriff, sich selbst abzuschaffen?

Die grassierende Politikverdrossenheit gilt weniger Parteien an sich als ihren Fehlentwicklungen: Parteibuchwirtschaft, Lösungsinkompetenz, Mangel an Leadership ängstliche Weigerung, Klartext zu reden und auch Unpopuläres durchzusetzen.

Das Phänomen ist nicht ganz neu und war schon vor dem Siegeszug von Polit-Popstar Emmanuel Macron zu beobachten. Spätestens seit dem Überraschungserfolg der Hofburgkandidatin Irmgard Griss, die sich zur idealen Politikerin stilisierte, gerade weil sie keine Politikerin war, und damit punktete, während Altparteienvertreter nach hinten durchgereicht wurden, ist die heimische Parteiendemokratie sichtlich angeschlagen. Niemand will mehr eine Partei sein und muffig-altmodisch wirken.

Das Problem ist nur: Das Parteiensystem erodiert zwar, aber eine taugliche Alternative wurde bisher nicht gefunden. Von Winston Churchill, dem bärbeißigen britischen Premierminister, stammt das zynisch-treffende Bonmot: „Demokratie ist die schlechteste aller Regierungsformen – abgesehen von all den anderen Formen, die von Zeit zu Zeit ausprobiert worden sind.“ Ähnliches gilt für Parteien: Sie sind aus nachvollziehbaren Gründen in Misskredit geraten, alle Zweifel an der Parteiendemokratie erscheinen berechtigt – abgesehen davon, dass jedes andere System noch schlechter funktioniert. Es sei denn, man hält Selbstdarstellungsorgien von Schreihälsen, Zauseln, Milliardären und Glücksrittern für einen demokratischen Fortschritt.

Die grassierende Politikverdrossenheit gilt weniger Parteien an sich als ihren Fehlentwicklungen: Parteibuchwirtschaft, Lösungsinkompetenz, Mangel an Leadership ängstliche Weigerung, Klartext zu reden und auch Unpopuläres durchzusetzen. Die Liste ist beliebig fortsetzbar. Ihr gegenüber steht das Ideal von Parteien als Keimzellen und Rückgrat der Demokratie, mit all ihren Stärken und Schwächen, die letztlich das hehre Ziel verfolgen, dass sich Gleichgesinnte zusammenfinden, um mit guten Argumenten für ihre Ideen um Mehrheiten zu werben.

Keine Parteien sind auch keine Lösung, zumindest nicht, solange kein besseres Modell erprobt ist. Wettern gegen „Altparteien“ nützt nichts gegen Politikverdrossenheit, im Gegenteil. Bleibt der zähe Weg, Vertrauen durch Verhaltensänderung zurückzugewinnen. Mühselig, keine Frage – aber auf lange Sicht erfolgsträchtiger.

[email protected] Twitter: @evalinsinger

Eva   Linsinger

Eva Linsinger

Innenpolitik-Ressortleitung, stellvertretende Chefredakteurin