Leitartikel: Eva Linsinger

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Mit schreckgeweiteten Augen verfolgten Kanzler Werner Faymann und sein damaliger Vizekanzler Josef Pröll im Herbst 2008, mit welchem Tempo und welcher Zerstörungskraft die Schockwellen der Finanzkrise um die Welt rasten. Hektisch beschlossen sie Milliardenhilfen für die Banken und waren damit in bester Gesellschaft, ihre Kollegen von Berlin bis Washington taten dasselbe.

Es waren Wochen der Panik – aber auch der neuen Töne: Quer über den Globus wurde das Comeback des Staates und das wiedererrungene Primat der Politik über die Ökonomie beschworen. Vom Kanzler abwärts versprachen alle, der gierigen Finanzindustrie Zügel anzulegen und sich nie wieder von verantwortungslosen Zockern in die Beinahekatastrophe treiben zu lassen.

Das waren höchstens verbale Sekundentriumphe. Dreieinhalb Jahre später ist klar: Erstaunliche Comebacks fanden zwar statt, aber es waren keine der Politik. Ratingagenturen spielen unbeirrt wieder Staatenversenken, als hätten sie Lehman Brothers und Co nicht völlig falsch eingeschätzt; Banken wirtschaften, als hätte es das Crashjahr 2008 nie gegeben. Und Politikern fällt nach wie vor nicht mehr ein, als hilflos zuzuschauen und Schecks über Fantastilliarden auszustellen. Selten fiel eine Lernkurve derart flach aus.
Das ist kein spezifisch österreichisches Phänomen, aber die heimische Bilanz fällt besonders niederschmetternd aus. Drei Banken sind mittlerweile verstaatlicht, weitere wanken bedrohlich, über elf Milliarden Euro Steuergeld wurden in die Geldinstitute gepumpt. Die Bankenhilfe ist alles andere als das Bombengeschäft für den Staat, als welches die Regierung es seinerzeit verkauft hatte. Und die angekündigten Regulative, Kontrollen und Konsequenzen – gibt es nicht. Auf der politischen Habenseite steht eine große Null.

Das Unbehagen darüber reicht weit über die Kreise weltfremder Globalisierungskritiker und rabiater Kapitalismusgegner hin­aus. Konrad Steindl etwa ist ein kreuzbraver ÖVP-Abgeordneter, der in der biederen Sparte Handwerk der Wirtschaftskammer politisch sozialisiert wurde und jedes Linksabweichlertums unverdächtig ist. Vergangenen Mittwoch verlangte er in seiner Parlamentsrede dringend, sich nicht länger von den Banken auf der Nase herumtanzen zu lassen und Geschäfts- von Investmentbanken zu trennen. Erstere würden sich auf solide Brot- und Buttergeschäfte beschränken und im Ernstfall vom Staat geschützt, Zweitere könnten riskante Deals eingehen, aber nicht auf die Hilfe der Steuerzahler spekulieren.

Das wäre eine Variante, die Dominanz der Finanzakteure zu beschneiden. Ob sie etwas taugt, wird man in Österreich mit großer Wahrscheinlichkeit nie erfahren: Die Regierung konnte sich nicht einmal zu einer Diskussion darüber aufraffen.

Auch für alle anderen Modelle fehlt der Mut. Eine logische Konsequenz aus der Finanzkrise wäre, Strukturen so zu verändern, dass kein Geldinstitut mehr „too big to fail“ und damit automatisch vor der Pleite geschützt ist. Großbritannien oder Deutschland haben die Lektion gelernt und Bankeninsolvenzrechte beschlossen, marode Finanzinstitute können aufgespalten oder teilliquidiert werden. In Österreich versprach Josef Pröll eine ähnliche Regelung für „demnächst“ – vor drei Jahren. Pröll ist Politgeschichte, das Gesetz gibt es bis heute nicht, obwohl Nationalbank und Finanzmarktaufsicht vehement darauf drängen. So können sich Banken weiter auf das Auffangbecken Staat verlassen – eine risikolose Vollkaskoversicherung auf Kosten der Steuerzahler.

Dabei ist Österreich mit einer Dichte von 800 Finanz­instituten und 4200 Filialen hoffnungslos overbanked und wird nur von Luxemburg und Zypern getoppt. Kein anderer aufgeblähter Wirtschaftssektor beansprucht mit derartiger Selbstverständlichkeit den Status „systemrelevant“ für sich, obwohl er zum Teil ein Risiko für das System darstellt. Nach einhelliger Meinung der Ratingagenturen sind die Staatsschulden Österreichs zwar drückend hoch, aber bewältigbar. Die wirkliche Gefahr schlummere in den Ostgeschäften der Geldinstitute. Die Reaktion der Regierung dar­auf? Erraten, keine.

Die Ursachen der Finanzkrise sind noch lange nicht beseitigt, teils nicht einmal angegangen. Auf die Läuterung der Finanzindustrie zu hoffen wäre naiv. Banker sind nicht blöd, sie versuchen, möglichst hohe Rendite zu erwirtschaften – solange die Politik sie lässt. An manchen Geschäftsmodellen wird sich nur etwas ändern, wenn der Staat Regulative einzieht. Keine Frage: Manche Antispekulationsregeln sind nur EU-weit sinnvoll, und auch größere politische Kapazunder als Faymann oder Michael Spindel­egger könnten die Finanztransaktionssteuer in Europa nicht durchsetzen. Nur: Der Entwurf der EU-Kommission für diese Steuer liegt seit September vor. Eine Regierung, die den Kampf gegen Zocker ernst meint, hätte Stärken und Schwächen des Entwurfs zumindest einmal diskutieren können.

Das würde die Finanzmärkte noch nicht erzittern lassen. Aber es wäre endlich ein Anfang – bevor der Politik die Abstufung auf Ramsch­status droht.

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