Leitartikel: Eva Linsinger

Eva Linsinger Last Exit Brüssel

Last Exit Brüssel

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Es war selbst in der provinziellen Kleingeist gewohnten österreichischen Innenpolitik ein kläglicher Tiefpunkt. Vor ziemlich genau vier Jahren verfasste Werner Faymann seinen berüchtigten Unterwerfungsbrief an die „Kronen Zeitung“, das Zentralorgan des dumpfen Anti-EU-Populismus, und gelobte seine kritische Haltung gegenüber dem Vereinigten Europa. Eine Finanz- und Eurokrise später fährt ­Faymann zwar immer noch „nach Europa“, wenn er gen Brüssel aufbricht, präsentiert sich aber ansonsten neuerdings als „glühender Europäer“. Die Wandlung vom Saulus zum Paulus wäre eigentlich Anlass für Akklamationen über den raren Fall der steilen Lernkurve eines Politikers – wenn sie aus mehr als nur einer Phrase bestünde.

Die Existenz als glühender Europäer, wie Faymann und sein kongenialer Kompagnon Michael Spindelegger sie verstehen, erschöpft sich in eilfertigem Abnicken europapolitischer Ideen anderer. Egal, ob Merkel-Sarkozy oder Monti-Hollande den Kurs vorgeben – Faymann und Spindelegger sind auch dafür. Eine eigene Meinung, gar eine widersprüchliche Position? Glatte Fehlanzeige.

Keine Frage: Auch größere Kapazunder als Faymann oder Spindelegger würden nie Frankreich und Deutschland als Wegweiser der EU ablösen. Aber gerade für ein kleines Mitgliedsland wie Österreich hätte es zuletzt ausreichend ­Anlässe zum entschiedenen Einspruch gegeben. In der Schlacht um den Euro operieren die EU-Lenker mit Notverordnungen, immer größere Fantastilliardenpakete werden von immer weniger Mitspielern in stetig rasanterem Tempo durchgezogen. Die Post-Demokratie ist in Krisen-Europa längst Realität. Der Kurssturz des Republikanischen wirkt sich auf weniger bedeutende EU-Staaten besonders dramatisch aus: Ihre Regierungschefs werden auf den zahllosen Krisengipfeln oft zu Statisten degradiert. Ihnen bleibt lediglich die Rolle, Jasager für Schirme und andere Ideen abzugeben, die von den Mächtigen in Vorabsprachen ausgeheckt werden.

Das Demokratiedefizit der EU wurde oft beklagt, nie war es augenscheinlicher als jetzt. Das Eurorettungsvehikel ESM verstärkt es weiter, weil sich die supranationale Institution jeder Kontrolle entzieht. Es wäre ein überaus lohnendes Betätigungsfeld für bekennende Europäer aus Kleinstaaten, Vorschläge für Spielregeln in der EU auszuarbeiten, die zumindest demokratische Mindeststandards erfüllen. Von Österreichs Regierung kommt dazu nur die überaus konkrete Anregung, man könnte ja vielleicht einmal einen Konvent abhalten. Wenn die ausgefeilten Konzepte weiter in derartiger Geschwindigkeit sprudeln, ist die Eurokrise vorbei, bevor Österreich eine eigenständige Idee angedacht hat.

Selbst bei Petitessen erbringt die Koalition ungewollt den Beleg, dass ihre EU-Liebe nur eine Worthülse ist. Die Sektion „Wirtschaftspolitik und Finanzmärkte“ im Finanzministerium spielt auf Beamtenebene eine tragende Rolle in der Eurokrise und wurde daher bisher von einem Star der Hochbürokratie geleitet, Thomas Wieser, der nicht umsonst zum internationalen Koordinator der Eurogruppe aufstieg. Sein Nachfolger ist der ehemalige Pressesprecher des Finanzministeriums. Nichts gegen den zweiten Bildungsweg – aber wer ernsthaft auf EU-Ebene mitreden will, setzt an eine derart zentrale Stelle keinen Superpraktikanten.

Die EU musste Politikern immer schon als perfekter Vorwand herhalten, die eigene Verantwortung zu verschleiern. Alles Schlechte kam „aus Brüssel“, die eigene Zustimmung wurde verschwiegen. Faymann und Spindelegger haben die Methode Brüssel neu definiert: Sie beschränken sich in der EU auf die Rolle von Statisten – und verwenden gleichzeitig ihr europäisches Nicht-Engagement als Ausrede, auch in Österreich nichts tun zu müssen. Die Regierungsspitze versichert regelmäßig, wie wichtig ihr Europa ist: Faymann in der Grundtonalität eines netten Buben beim Aufsagen eines Muttertagsgedichts, Spindelegger hymnisch à la „Ich bin ein Merkel-Fan“. So ist die EU-Liebe zum persönlichen Rettungsschirm der Koalition geworden.

Dieser ist aber alles andere als wasserdicht. Die Universitäten sind in einem erbärmlichen Zustand, weil sich SPÖ und ÖVP seit 2011 im Ideologiepatt suhlen. Ein Drittel der Unis hebt ab Herbst Studiengebühren ein; ob das verfassungsrechtlich gedeckt ist, scheint die Regierung nicht zu kümmern. Beim Klimaschutz steuert Österreich auf hohe Kioto-Strafzahlungen zu, weil sich niemand zu Maßnahmen durchringen kann. Beim Pflegegeld, einem immer höheren Budgetposten, wartet man vergeblich auf die versprochene Reform, in der Familienpolitik gibt es außer Streit nichts zu vermelden, das seit Jahren angekündigte Bankeninsolvenzgesetz lässt auf sich warten, von der Verwaltungsreform ganz zu schweigen. Die Liste der Leermeldungen ist lang, nur für die Erhöhung der Parteienförderung fand die Koalition Zeit.
Ansonsten ist sie in Europa. Ohne dort je anzukommen.

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