Eva Linsinger: Lob der Pausetaste

Die wohltuend unaufgeregte Übergangsregierung fördert erstaunliche Erkenntnisse zutage.

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Schneller! Lauter! Schriller! Österreichs Politik ist im Dauer-Hyperventilier-Modus, und das seit Jahren. 2015: Flüchtlingskrise. 2016: Dauerduell zwischen den Präsidentschaftskandidaten Norbert Hofer und Alexander Van der Bellen. 2017: Nationalratswahlkampf, Sebastian Kurz, Christian Kern, Tal Silberstein, Balkanroute. 2018: Türkis-Blau, Einzelfall nach Einzelfall, Schweigekanzler. 2019: Ibiza, Strache weg, Kurz weg, Koalition weg!

Wie angenehm, wenn das Polit-Abenteuer einmal kurz Pause macht. Eine wohltuende Ruhe senkt sich über das Land, eine Auszeit von der Atemlosigkeit. Es scheint eine tiefe Sehnsucht nach unaufgeregten Tönen zu geben, plötzlich punkten andere Politikerpersönlichkeiten als die sattsam bekannten Populismusautomaten. Im aktuellen APA-Vertrauensindex rangieren Bundespräsident Alexander Van der Bellen und Übergangskanzlerin Brigitte Bierlein ganz oben – ausgerechnet der Meister der Langsamkeit, der lässiges Understatement kultiviert, und die soignierte Dame, die in getragenen Auftritten Wörter wie „Demut“ und „dienen“ bemüht, die im Politdiskurs ganz ungewohnt geworden sind.

Garniert wird die neue Zurückhaltung mit ruhigen Signalen der Modernität: Interims-Bildungsministerin Iris Rauskala ist mit einer Frau verheiratet und spricht darüber als selbstverständliche Nebensache, genauso gelassen wird die Novität aufgenommen. Auch so kann Österreich im Jahr 2019 sein – welch angenehm stiller Gegensatz zum großspurigen Macho-Geprotze im Ibiza-Video.

Willkommen in der neuen Normalität! Die Pausetaste ist gedrückt, die schrille Dauerbeschallung mit dem Anti-Ausländer-Thema ist vorübergehend verstummt; nicht jeden zweiten Tag werden von der Regierung mit großem Brimborium Moscheen geschlossen, Ausreisezentren eröffnet, Kopftuchverbote gefordert und neue Varianten zur Beamtshandlung von Migranten präsentiert.

Wir werden uns wahrscheinlich noch wundern, welche Aha-Erlebnisse unter einer Übergangsregierung möglich sind.

Keine Frage: Dieser Ausnahmezustand wird nicht lange anhalten, der Wahlkampf bald Fahrt aufnehmen, lauter Populismuswettlauf inklusive; die Übergangsregierung agiert nur als Auszeitpuffer. Aber eine kurze Nachdenkpause kann nach der jahrelangen Phase der Erregungen nur guttun – auch, um zu einigen nüchternen Befunden zu gelangen. Ja, Migration und Integration sind eine Herausforderung, aber beileibe nicht die einzige. Höchste Zeit, sich mit ähnlich viel Energie anderen drängenden Themen zu widmen, etwa der Klimakatastrophe, denn Österreich hält sich zwar hartnäckig für ein Umweltmusterland, ist in Wahrheit aber längst Klimaschutz-Nachzügler.

ÖVP und FPÖ priesen sich in Vor-Ibiza-Zeiten gerne als größte Regierung aller Zeiten. Die von keiner Message-Control angekränkelte Übergangsregierung spricht hingegen Klartext und fördert allerhand erstaunliche Erkenntnisse zutage: Die Republik hat ein ausgewachsenes Sicherheitsproblem, das Bundesheer ist in deplorablem Zustand und steht knapp vor der Pleite. Ohne den Übergangs-Verteidigungsminister wäre diese Wahrheit kaum zumutbar gewesen.

Der Übergangs-Innenminister wiederum lässt penibel untersuchen, wie großzügig für Kabinette und Medienarbeit mit Steuergeld um sich geworfen wurde – zumal von den Freiheitlichen, die gerne den Robin Hood der kleinen Leute spielten. Wir werden uns wahrscheinlich noch wundern, welche Aha-Erlebnisse unter einer Übergangsregierung möglich sind.

Die Prass-Bilanz kann auch mit dem hohlen Mythos aufräumen, dass ausschließlich das freie Spiel der Kräfte im Parlament teuer zu stehen komme, während eine funktionierende Regierung ein Hort der Sparsamkeit sei. Wahr ist das Gegenteil: Mit viel sündteurem Unfug wurde in Ministerämtern geklotzt, von Gratulationsinseraten für Sportler bis zu Familienfesten. Wie gut, dass diese Selbstbeweihräucherung auf Steuerzahlerkosten in diesem Wahlkampf ausgesetzt ist.

Das Parlament hat hoffentlich die Lektion aus 2008 verinnerlicht und fasst keine Wahlzuckerl-Beschlüsse. Die Versuchung wird steigen, je länger der Wahlkampf dauert. Das sollte die letzte Lektion der Ausnahmezeit sein. So wohltuend die Pausetaste der Übergangsregierung vorübergehend anmutet, das Interregnum kann kein Ersatz für eine Regierung sein, die Politik macht. Die Pause zwischen Neuwahl-Ankündigung (Mitte Mai) und Neuwahl (Ende September) dauert zu lange. Zeit für eine Debatte, das zu ändern – ganz unaufgeregt, wie es ausnahmsweise en vogue ist.

[email protected] Twitter: @evalinsinger

Eva   Linsinger

Eva Linsinger

Innenpolitik-Ressortleitung, stellvertretende Chefredakteurin