Leitartikel: Eva Linsinger

Eva Linsinger Sozialhilfe für Erben

Sozialhilfe für Erben

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Es ist, aus banal menschlichen Gründen, recht verständlich, warum Vizekanzler Michael Spindelegger eine Aversion gegen Erbschaftssteuern entwickelt hat. Seit seiner Kür zum ÖVP-Obmann ist er der einzige Mensch in Österreich, der für seine Erbschaft noch zahlt – und zwar reichlich. Die Hinterlassenschaft aus der Ära Wolfgang Schüssel kommt Spindelegger teuer zu stehen, mit der Aufarbeitung der Skandale und Korruptionsaffären muss er ein schweres politisches Erbe antreten. Da kann das Wort von der E-Steuer schon zum Reizbegriff werden.

Es ist, aus zynisch strategischen Gründen, durchaus nachvollziehbar, warum Spindelegger die vom Koalitionspartner SPÖ erneut angezettelte Reichensteuer-Debatte möglichst im Keim ersticken will. Ist das Kalkül der SPÖ doch allzu durchsichtig, auf brachialen Anti-Millionärs-Parolen (Studiengebühren für Millionäre! Erbschaftssteuern für Millionäre!) in Parteitag und Wahlkampf zu surfen. Kein Wunder, dass Spindelegger dieser Gerechtigkeitskampagne keine Plattform bieten will.

Bloß: Marktwirtschaftlich ist Spindeleggers Njet zu Erbschaftssteuern nicht logisch zu argumentieren. Schon gar nicht, wenn man, wie die ÖVP, „Leistung“ als neue Parole ausgibt und sich als Wirtschaftspartei sieht.
Denn Erben hat mit Leistung gar nichts zu tun. Im Gegenteil, der volkswirtschaftliche Effekt wirkt sogar leistungsfeindlich: Wo Arbeit, wie in Österreich, mit hohen Steuern bestraft und saturiertes Nichtstun belohnt wird, sinkt die Bereitschaft, sich anzustrengen. Reich zu werden ist hierzulande schwer, wer sich Vermögen erarbeiten möchte, muss die Hürde hoher Steuern überwinden. Wer sein Vermögen hingegen schon (geerbt) hat, wird kaum mit Steuern behelligt. Diese paradoxe Asymmetrie unterscheidet Österreich von marktwirtschaftlicheren Staaten wie den USA, der Schweiz oder Großbritannien. Warum soll sich jemand verausgaben, wenn der Staat die Hälfte des Einkommens abzieht und es so viel bequemer und lukrativer ist, auf das Ableben des Erbonkels zu warten?

Man muss beileibe kein Klassenkämpfer sein, um das so zu sehen. „Warum soll man sein Leben lang eine Art Sozialhilfe kassieren, nur weil man der richtigen Gebärmutter entschlüpft ist?“, fragte sich der amerikanische Multimilliardär und Großinvestor Warren Buffett, bevor er anfing, seinen Besitz zu verschenken. Eine ganze Riege konservativer Ökonomen kommt zu denselben Schlüssen: Der Internationale Währungsfonds, alles andere als ein Hort der Kapitalismuskritik, und Christian Keuschnigg, der konsequent marktliberale Chef des Wirtschaftsforschungsinstituts IHS, plädieren im Gleichklang dafür, in Österreich Erbschaftssteuern wieder einzuführen und Steuern auf Arbeit zu senken. Diese zutiefst der Marktwirtschaft verpflichteten Stimmen sollten Spindelegger zumindest zu denken geben.

Zumal die Argumente, die von der Volkspartei bisher gegen die Erbschaftssteuer vorgebracht wurden, eher von ihrer Hilflosigkeit zeugen als vom hochgehaltenen Selbstverständnis als Wirtschaftspartei. Wer Erben besteuert, belastet den Mittelstand, wettert etwa ÖVP-Generalsekretär Hannes Rauch. Sogar wenn man „Mittelstand“ extrem großzügig definiert, ist das keineswegs haltbar: Die obersten zehn Prozent der Österreicher, die bar jeder Polemik als wohlhabend bezeichnet werden können, besitzen mit 720 Milliarden Euro satte 60 Prozent des gesamten Immobilien- und Finanzvermögens. Und: Fast die Hälfte aller vererbten Villen, Häuser und Wohnungen konzentriert sich auf kümmerliche zwei Prozent der Haushalte, die neben dem Privileg, steuerfrei zu erben, auch noch Bagatell-Grundsteuern zahlen. Wo war ihre Leistung? Warum Erben nicht wenigstens einen kleinen Teil ihres immensen Startvorsprungs an die Allgemeinheit abliefern sollten, lässt sich vernünftig nicht begründen.

Selbst der reflexartig vorgebrachte ÖVP-Stehsatz, das „scheue Reh“ Kapital sei ständig fluchtbereit und brauche daher ganzjährig Schonzeit, zieht bei der Erbschaftssteuer nicht. Für Immobilienerben fällt die Variante Flucht ohnehin aus, für Betriebsübergaben lassen sich, wie andere Staaten vorexerzieren, intelligente Lösungen finden. Bleibt, als letzte Bastion, der Einwand der ÖVP, jede neue Steuer sei Gift für den Wirtschaftsstandort. Das stimmt gerade für die Erbschaftssteuer nicht: Sie würgt weder Wachstum noch Konsum ab – im krassen Gegensatz zu Steuern auf Arbeit.

Sogar philosophisch-ideologisch spricht alles für Erbschaftssteuern. Der Begriff Leistung wurde vom Protestantismus geprägt und ist untrennbar mit den Idealvorstellungen einer bürgerlichen Gesellschaft verbunden, also mit der Auffassung, dass der Status eines Menschen Resultat von persönlicher Anstrengung sein sollte – und nicht von Geburt und Herkunft. Erben zu schonen und Arbeit zu bestrafen konterkariert diesen Leistungsbegriff nachgerade ins Absurde. Auch mit der christlichen Soziallehre hat, wie ­Caritas-Präsident Franz Küberl regelmäßig predigt, der Schutz der Erben nichts zu tun.

Sondern nur mit Besitzstandswahrung. Das ist aber gerade für die Leistungs- und Wirtschaftspartei, welche die ÖVP gerne sein möchte, ein ganz schlechtes Motiv.

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