Eva Linsinger: Last exit: Opfer

Nach der Kickl-Woche stellt sich die grundsätzliche Frage: Ist die FPÖ schon in der Regierung angekommen?

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Auf dem Hartberger Oktoberfest war die Stimmung beim FPÖ-Frühschoppen ein Traum! Sportlich und dynamisch: HC Strache am Tag des Sports! Johann Gudenus eröffnet 150. Derby in Ebreichsdorf! So lauteten dieser Tage die hammerharten Schlagzeilen bei FPÖ-TV, in jenem blauen Paralleluniversum, in dem die Freiheitlichen sich ihre schöne, heile Parallelrealität zimmern. Gegen derartige Feel-Good-Berichterstattung hätte selbst die „Prawda“ in ihren Propaganda-Glanzzeiten wie ein unabhängig-kritisches Medium gewirkt.

Und Journalisten, die ihren Job ernst nehmen und neben der Megagaudi beim Frühschoppen noch die eine oder andere Geschichte über die FPÖ für erwähnenswert halten, erscheinen gar wie unbotmäßige Feinde.

Nach einigen Schrecktagen hat die FPÖ zu der kruden Logik zurückgefunden. Der unsägliche Medienerlass von Innenminister Herbert Kickl flog auf, wurde aus verflixt guten Gründen von Bundespräsident und Bundeskanzler abwärts scharf kritisiert. Nur die FPÖ beklagte die „inszenierte Medienhatz“ gegen den Innenminister. Die Pose der verfolgten Unschuld stellt für sie vertrautes Terrain dar, in der Rolle des Opfers, der einsamen Kämpferin gegen das „System“ und „die da oben“ hat sie sich – seit Jörg Haiders Zeiten – stets am wohlsten gefühlt. Nicht umsonst wurde der Slogan „Sie sind gegen ihn, weil er für euch ist“ in immer neuen Varianten recyclt. Das Problem ist bloß: Die FPÖ ist jetzt Regierungspartei und Teil „der da oben“. Auch wenn sie sich erkennbar schwer damit tut.

In der Causa Medienerlass und, fast gravierender noch, im Umgang der FPÖ damit geht es um mehr als die Fragen, ob Kickls Ruf als versierter Meisterstratege und intellektuelles Superhirn nicht heillos übertrieben war (eindeutige Antwort: ganz offensichtlich) oder ob auch andere Parteien versuchen, genehme Berichterstattung zu erzeugen (ebenso eindeutig: selbstverständlich). Viel wurde darüber diskutiert, ob die SPÖ in der Rolle als Oppositionspartei angekommen ist (ist sie nicht). Mindestens ebenso drängend stellt sich aber die Frage: Ist die FPÖ schon in der Regierung angekommen? Inwieweit hat sie verinnerlicht, dass Regieren mehr bedeutet, als den leckeren Geruch, der aus den Futtertrögen der Macht dringt, zu genießen und ein paar Chefchen ins Trockene zu bringen – nämlich staatspolitische Verantwortung?

Wer die FPÖ in den vergangenen Tagen beobachtet hat, kann daran erhebliche Zweifel hegen. Innenminister Kickl agitierte im Nationalrat in aggressivster Oppositionsmanier und verhöhnte Abgeordnete und Parlamentarismus derart untergriffig, dass Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka, einst selbst als Innenminister eine Rabiatperle, sich bemüßigt sah, Kickl zur Ordnung zu rufen und auf die Würde des Hauses zu verweisen.

Weitere Mahnrufe an Kickl wären längst fällig. Etwa jener, dass ein Minister die Letztverantwortung für sein Amt trägt – und sich nicht nach Belieben an subalternen Mitarbeitern (beim Medienerlass), der Justiz (in der Causa BVT) oder anderen angeblich Schuldigen abputzen kann, wenn etwas schiefgeht. Ein derart kindisches Ich-war’s- nicht!-Verhalten wäre sogar für den Chef einer Mini-Firma unwürdig – für den Leiter des hochsensiblen Sicherheitsministeriums erst recht.

Oder jener: Die Polizei ist keine Vorfeldorganisation der FPÖ, mit der willkürlich Parteipropaganda befeuert werden kann, sondern als Teil der Exekutive eine Institution der Republik. Die Order aus Kickls Ministerium, dass die Polizei verstärkt und „proaktiv“ über sexuelle Gewalttaten kommunizieren soll, die in der Öffentlichkeit begangen werden, ist schlicht Aufruf zur Manipulation – denn 90 Prozent aller sexuellen Übergriffe passieren im Familienumfeld. Die statistisch gefährlichsten Männer im Leben einer Frau sind Vater, Onkel, Ehemann – und nicht Fremde, Flüchtlinge oder Zuwanderer. Die Polizei kann und soll kein anderes Bild zeichnen, schon gar nicht „proaktiv“, das ist Stimmungsmache pur. Die gehört nicht zu einer Behörde – hat aber in der FPÖ Tradition. Ihrem Klubobmann im Parlament, Johann Gudenus, flattert nun eine Klage ins Haus, weil er einen Asylwerber und Lehrling völlig zu Unrecht beschuldigt hat, mit einer Terrororganisation zu sympathisieren. Zu mehr als einer Meinetwegen-Entschuldigung im Stile Jörg Haiders konnte sich Gudenus bisher nicht aufraffen.

Diese permanente Grenzüberschreitung kann man nonchalant bis gelangweilt als „Ausrutscher“ abtun – aber nur dann, wenn man sich wie in Österreich seit den Haider-Jahrzehnten daran gewöhnt hat, dass Rechtspopulisten Grundpfeiler der Demokratie lächerlich machen oder attackieren. In anderen EU-Staaten fallen die Reaktionen viel weniger augenzwinkernd aus – umso mehr, weil Österreich die EU-Ratspräsidentschaft innehat und besonders im Scheinwerferlicht steht.

Eva   Linsinger

Eva Linsinger

Innenpolitik-Ressortleitung, stellvertretende Chefredakteurin