Gastkommentar

Heike Lehner: Die Party des billigen Geldes kommt nicht wieder

Ein einzelner Zinsschritt ist keine Ansage der EZB, dass die hohe Inflation besiegt wurde. Es ist ein kleiner, zögerlicher Schritt einer Zentralbank, die auf Sicht fährt. Gastkommentar von Ökonomin Heike Lehner.

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Der 6. Juni 2024 ist ein Tag, auf den vor allem Kreditnehmer gespannt warten. Um 14.15 Uhr wird voraussichtlich die erste Zinssenkung nach den zahlreichen Erhöhungen der letzten beiden Jahre verkündet. Viele werden denken, der Kampf gegen die Inflation sei damit gewonnen. Vielleicht glauben und hoffen insgeheim auch viele, dass wir wieder zu niedrigen Zinsen bei gleichzeitig geringen Inflationsraten zurückkommen werden. Dass die Party mit Unmengen an billigem Geld endlich wieder weitergehen kann, an die wir uns immerhin im vergangenen Jahrzehnt mehr als gewöhnt haben. Das ist aber ein gewaltiger Irrtum.

Die sinkenden Inflationsraten in der Eurozone deuten für viele darauf hin, dass die Normalität bald zurückkehren könnte. Nach der letzten Zinserhöhung warten nun alle darauf, dass die Europäische Zentralbank (EZB) endlich die Zinsen wieder senken wird. Insbesondere, nachdem die Inflation in der Eurozone im März auf 2,4 Prozent gefallen war. Für Ausreißer mit hohen Inflationsraten wie Österreich wäre es zwar besser, wenn die Zinsen noch länger auf diesem Niveau verweilen würden. Die EZB macht aber keine Geldpolitik für Österreich, sondern für die gesamte Eurozone. Hier muss sie die Entwicklungen eines einzigen Staates Großteiles ignorieren.

Um die Zinsentscheidung zu treffen, braucht es jedoch noch weitere Daten, etwa zur Lohnentwicklung. Die EZB möchte zu Recht auf keinen Fall den Fehler begehen, zu früh zu senken. Viel zu groß ist die Gefahr, dass sich die Inflationsraten auf einem erhöhten Niveau verfestigen. Problematisch ist aktuell insbesondere die Dienstleistungsinflation, die seit November 2023 bei vier Prozent festzukleben scheint. Da Dienstleistungen fast die Hälfte des Warenkorbs ausmachen, auf Basis dessen die Inflation berechnet wird, fallen sie stark ins Gewicht. Bei diesen Preisen spielen die nur langsam fallenden Lohnsteigerungen mit hinein. Der Teil der Inflation, der von inländischen Komponenten wie etwa den Löhnen getrieben wird, bleibt hoch.

Die Party des billigen Geldes ohne große Rücksicht auf zu hohe Inflationsraten kommt nicht wieder.

Heike Lehner

Wie es nach der ersten Zinssenkung weitergeht, ist alles andere als vorhersehbar. Wie viele Zinsschritte folgen dann noch? Wie hoch wird der finale Zinssatz sein? Zu den Nullzinsen der 2010er-Jahre werden wir aber nicht mehr zurückkommen. Zwischen Beginn der Eurozone und dem Jahr 2009 lag der mittlere Leitzinssatz durchschnittlich bei rund drei Prozent. Möglicherweise werden wir uns jetzt leicht darunter einpendeln. Wir werden uns wohl auch weniger Sorgen um zu niedrige, sondern um zu hohe Inflationsraten machen müssen. Die Risiken sind zahlreich: geopolitische Spannungen, die den Ölpreis in die Höhe treiben; der Arbeitskräftemangel und die alternde Bevölkerung, welche die Löhne weiter steigen lassen könnten; höhere Preise aufgrund der Deglobalisierungstendenzen und des dadurch gehemmten Wettbewerbs. Und dann kommen noch die Auswirkungen des Klimawandels hinzu.

Die EZB hat bereits begonnen, ihre geldpolitischen Instrumente zu überprüfen und sich auf die Herausforderungen der kommenden Jahre vorzubereiten. Doch in diesem Zusammenhang darf sie nicht auf die Bevölkerung vergessen. Denn trotz der Freude rund um den ersten Zinsschritt muss deutlich kommuniziert werden, dass der Kampf gegen die Preissteigerungen in dieser Hochinflationsperiode noch nicht vorüber ist. Und dass auch die Zukunft große Inflationsrisiken mit sich bringt. Die Party des billigen Geldes ohne große Rücksicht auf zu hohe Inflationsraten kommt nicht wieder. Die EZB muss weiterhin klar kommunizieren, um das Vertrauen der Bevölkerung zu erhalten, nachdem sie es wegen der viel zu spät erfolgten Zinserhöhungen im Jahr 2022 fast verspielt hätte. Die Vorbereitung der Bevölkerung auf diese neue Normalität wäre ein guter, erster Schritt in Richtung mehr Vertrauen.