Peter Michael Lingens

Peter Michael Lingens Der Binnen-Kampf ums Binnen-I

Der Binnen-Kampf ums Binnen-I

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Ich bin ein mutiger Mensch, sonst hätte ich profil vor 44 Jahren nicht als Chefredakteur übernommen, obwohl die Branche ihm bestenfalls drei Überlebensmonate zugestand. Jetzt will ich beweisen, dass mich das Alter nicht feige gemacht hat: Ich riskiere es, mich in die profil-interne Auseinandersetzung zwischen meiner liebsten Kollegin, ­Elfriede Hammerl, und Rosemarie Schwaiger um das Binnen-I einzumengen. Obwohl Mann die Florettstiche, mit denen die beiden sie führen, schwerlich an Treffgenauigkeit überbieten kann und in neutraler Deckung weit sicherer wäre.

Doch meine Frau steht mir mannhaft zur Seite. Sie hat Erfahrung im Geschlechterkampf. Nachdem sie ihr Klavier- und Jus-Studium schon mit 22 und ihr Gerichtsjahr mit bester Benotung hinter sich gebracht hatte, bewarb sie sich als Richterin. Der Präsident des Wiener Oberlandesgerichtes prüfte sie eine volle Stunde, sie beantwortete jede Frage perfekt; er prüfte sie eine weitere Stunde, sie wusste abermals jeden Beistrich. Doch er wollte sie trotzdem nicht aufnehmen: „Sie bekommen sicher Kinder, und dann fallen Sie aus.“ – „Ich habe schon zwei Kinder.“ – Als der Präsident sie dennoch endgültig ablehnte, brüllte sie ihm ihre Anklage ins Gesicht: „Sie prüfen mich zwei Sunden, obwohl Sie von vornherein entschlossen waren, keine Frau aufzunehmen.“

„Endlich hat’s ihm wer eineg’sagt“, flüsterte ihr die Sekretärin beim Hinausgehen zu und sorgte dafür, dass sich der Auftritt im ganzen Haus herumsprach. Aber die Richterinnen-Laufbahn meiner Frau war beendet. Dass das heute dank der „Gleichbehandlungskommission“ undenkbar wäre, begeistert meine Frau – das Binnen-I findet sie „überflüssig und kindisch“.

Als Rosemarie Schwaiger vor zwei Wochen Verständnis für „Professoren“, „Lehrer“ und andere sprachaffine Personen äußerte, die das ähnlich sehen und den Vorwurf erhoben, dass es „die gewachsene Sprachstruktur bis zur Unlesbarkeit zerstöre“, ahnte ich schon nach dem ersten Absatz, dass Elfriede Hammerl das nicht tolerieren würde. Dass Schwaiger gar behauptete, Frauenpolitik mache „sich selber klein, wenn sie nur noch darum ringt, jeden Millimeter einmal errungenen Territoriums an noch so entlegenen Gestaden zu verteidigen“, war ein Fehdehandschuh, den Hammerl aufnehmen musste, wenn sie ihrem Ruf als führende feministische Feder gerecht werden wollte.

Von meinem liebsten Kollegen, Christian Ortner, der das „Zentralorgan des Neoliberalismus“ herausgibt, weiß ich, dass jede journalistische Trademark irgendwann zur Verpflichtung wird: Er kritisierte das Eingreifen der EZB in den Geldmarkt auch noch, nachdem es den Euro gerettet hatte.

Ähnlich mannhaft kritisiert Elfriede Hammerl die jüngsten Anschläge auf das Binnen-I. Obwohl sie es immer wieder verwende, so schrieb sie, habe ihr „noch niemand Unlesbarkeit vorgeworfen“. Das stimmt – auch wenn es vielleicht daran liegt, dass sie es so selten – in den vergangenen fünf Kolumnen nicht ein Mal, in ihren Büchern nie – verwendet. Es sei „nie darum gegangen“, nahm sie diesen Einwand vorweg, „der Poesie oder der Belletristik das Gendern anzuschaffen – verlangt werde nur, dass Gesetzestexte, amtliche Broschüren, Verordnungen, wissenschaftliche Arbeiten in einer Sprache abgefasst sind, die auf Männer wie auf Frauen Bezug nimmt“. Derartige Texte seien „auch sonst oft sperrig“.

Allerdings bestätigt Hammerl mit dieser Unterscheidung zwischen sperriger Gesetzessprache (die Frau offenbar zumutbar ist) und schöner „belletristischer“ Sprache Schwaigers zentrales Argument, wonach das Binnen-I „holpert, furchtbar aussieht und sich nicht aussprechen lässt“.
Ich komme daher nicht umhin, mich in dieser Auseinandersetzung auf Schwaigers Seite zu schlagen: Die große Elfriede Hammerl macht sich selbst klein, wenn sie jeden Schmarren verteidigt, der innerhalb des Kampfes um Gleichberechtigung irgendwann an einer Nebenfront als feministischer Scheinerfolg abgefallen ist.

Das Binnen-I ist überflüssig und kindisch.

Dass meine Frau oder ich es weder offiziell noch privat gebrauchen, sagt so wenig über unsere Haltung zum Kampf der Frauen um Gleichberechtigung aus wie Elfriede Hammerls Pflichtübung, „man“ gelegentlich durch „frau“ zu ersetzen. Sprache schafft keine Wirklichkeit, sondern allenfalls Wirklichkeit Sprache.

Jemand, der einen Plan „teuflisch“ oder eine Speise „göttlich“ findet, kann völlig areligiös sein; jemand, der sich über „Kaiserwetter“ freut oder mehr „Höflichkeit“ fordert, kann dennoch heilfroh sein, dass Europas Monarchinnen entmachtet und ihre Höfe meist Museen sind. Aber Religion oder Aristokratie haben in der Sprache selbstverständlich tiefe Spuren hinterlassen – das Patriarchat wahrscheinlich die tiefsten. Umso erfreulicher, dass wir sie in der Rechtsordnung dennoch zu beseitigen vermochten. Sie auch in der Sprache zu beseitigen, erinnert mich an das Abreißen erhalten gebliebener Biedermeier-Häuser, um an ihrer Stelle Betonklötze zu errichten.

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