profil-Kolumnist Franz Schellhorn
Franz Schellhorn: Haben Sie was gegen Juden?

Haben Sie was gegen Juden?

In Österreich wird dieser Tage eindringlich an das "Nie wieder!" erinnert. Der Alltags-Antisemitismus wird hingegen teilnahmslos hingenommen.

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In der Theorie ist die Sache ja recht einfach. Kaum ein führender Politiker, der nicht jede Form des Antisemitismus auf das Schärfste verurteilte und der nicht bei jeder sich bietenden Gelegenheit mit ernster Miene das "Nie wieder!" einmahnte. Was freilich niemanden der bei diversen Gedenkreden so besorgten Spitzenpolitiker davon abzuhalten scheint, den grassierenden Antisemitismus des Alltags achselzuckend hinzunehmen.

Juden für das Unheil auf dieser Welt verantwortlich zu machen, ist nämlich wieder salonfähig. In den meisten Fällen geschieht das gut kaschiert, man spricht in Codes oder versteckt sich hinter der Kritik am Staate Israel. Palästinenserpräsident Mahmud Abbas verliert sich nicht in nebulosen Formulierungen, er ist ein Mann der klaren Worte. Am Montag vergangener Woche meinte er, dass der Holocaust nicht etwa die verheerende Folge von Antisemitismus war. Ausschlaggebend für die Vernichtung der Juden sei vielmehr deren "soziale Funktion" gewesen. Aus Sicht von Abbas waren die Juden selbst schuld am Holocaust, weil sie jahrhundertelang Geld gegen Zinsen verliehen haben.

Auf so etwas muss man einmal kommen. Proteste gegen diese beispiellose Täter-Opfer-Umkehr blieben in unseren Breiten aus. Kein deutscher oder österreichischer Staatspräsident, der dazu etwas zu sagen gehabt hätte. Kein Bundeskanzler, kein Außenminister, kein Oppositionsführer, kein Vertreter der ansonsten so wachsamen Antifa.

Betretenes Schweigen. Das könnte nicht zuletzt daran liegen, dass mit einer klaren Haltung gegenüber derartigen Entgleisungen politisch nicht viel zu gewinnen ist, was ja auch eine Menge sagt. Letztlich scheint es eben nur darum zu gehen, am richtigen Ort zur richtigen Zeit das Richtige zu sagen. Wie an jedem 6. Mai, wenn in Mauthausen der Befreiung der KZ-Häftlinge gedacht wird. Worum es leider nicht zu gehen scheint, ist, das Richtige zu tun und dem wachsenden Antisemitismus energisch die Stirn zu bieten.

Im Gedenken Riesen, im Helfen Zwerge.

"Im Gedenken Riesen, im Helfen Zwerge", nannte Springer-Chef Mathias Döpfner dieses Verhalten so treffend in einem bemerkenswerten Essay anlässlich des 70. Geburtstags Israels. Gemeint war damit zwar die Haltung des offiziellen Deutschland, aber es trifft genauso gut auf Österreich zu. Die Lage ist hierzulande zwar (noch?) nicht so dramatisch wie bei unseren nördlichen Nachbarn, wo Kippa tragende Bürger angepöbelt, bedroht und verprügelt werden. Wo immer mehr jüdische Bürger die Auswanderung planen. Aber Österreich ist auch ein Land, in dem das Zücken einer Israel-Flagge mittlerweile als Straftat geahndet wird.

So hatten Beobachter einer Demonstration vor der US-Botschaft in Wien unter dem Motto "Jerusalem – Hauptstadt Palästinas" im Dezember 2017 eine Israel-Fahne in die Höhe gehalten. Woraufhin die Landespolizeidirektion Wien eine Ordnungsstrafe in Höhe von 100 Euro verhängte. Warum? Weil "die öffentliche Ordnung in besonders rücksichtsloser Weise" gestört worden sei, durch die gut sichtbare Flagge sei nämlich Unmut unter den palästinensischen Demonstranten erzeugt worden. Solidarität mit Israel ist also ein strafbarer Akt der Provokation. Nun möchte man meinen, dass ein derartiger Vorfall eine breite politische Debatte auslösen müsste. Fehlanzeige. Keine Empörung, keine Diskussionen im Parlament – nichts.

Judenhass hat längst alle Parteigrenzen überwunden.

Interessant ist auch, dass Antisemitismus noch immer als exklusives Phänomen von Rechtsaußen wahrgenommen wird. Dabei hat der Judenhass längst alle Parteigrenzen überwunden und ist so gesehen schon wieder fast unpolitisch. Bereits 1843 verfasste der dieser Tage groß gefeierte Karl Marx einen Text "Zur Judenfrage". Darin heißt es: "Welches ist der weltliche Kultus der Juden? Der Schacher. Welches ist sein weltlicher Gott? Das Geld." Letzteres ist nicht ganz ohne Ironie, ging es Herrn Marx zeitlebens ja nahezu ausschließlich um eines: um Geld.

Heutzutage werden derartige Klischees nur noch im vertrauten Kreis bedient, der moderne Antisemitismus tritt subtiler in Erscheinung. Man ist kein Antisemit, man ist Antizionist. Kritisiert werden nicht die Juden, kritisiert wird Israel. Bei vielen Tischrunden entpuppen sich geladene Gäste plötzlich als ausgewiesene Nahost-Experten, die ganz genau wissen, was in Israel so läuft. Während Palästinenser tagtäglich Raketen auf israelische Zivilisten abfeuern, wird Israel als Aggressor und "Terror-Staat" angeprangert. Künstler und Intellektuelle rufen zum Boykott israelischer Produkte auf, heute heißt es eben nicht mehr "Kauft nicht bei Juden", sondern "Kauft nicht in Israel". Nun ist nicht jeder Kritiker Israels Antisemit, aber jeder Antisemit ist ein verlässlicher Kritiker Israels.

Wer sich noch immer nicht ganz sicher sein sollte, wo denn nun der Antisemitismus beginne, hält sich am besten an den deutschen Publizisten Henryk Broder: Juden etwas vorzuwerfen, das man anderen nicht vorwirft, das ist Antisemitismus. Wir sehen also: Die Sache ist nicht nur in der Theorie recht einfach, sondern auch in der Praxis.