profil-Kolumnist Franz Schellhorn

Franz Schellhorn: Arm sein in einem reichen Land

Franz Schellhorn: Arm sein in einem reichen Land

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In mehr oder weniger regelmäßigen Abständen wird hierzulande die Frage aufgeworfen, warum es in einem reichen Land wie Österreich noch immer Armut gibt. Eine berechtigte Frage, zumal jährlich mehr als ein Drittel der Wirtschaftsleistung zur Bekämpfung der Armut ausgegeben wird. Das sind mehr als 100 Milliarden Euro jedes Jahr, also eine nicht ganz unbeträchtliche Summe. Das viele Geld verfehlt seine Wirkung nicht, seit Jahren gehen alle Armutsindikatoren in Österreich zurück, hier leistet der Wohlfahrtsstaat wichtige und gute Arbeit.

Das ändert nur nichts daran, dass es in Österreich tatsächlich noch immer Not und Elend gibt. Wie hoch deren Ausmaß ist, darüber sind die Experten uneins. Wobei es eine Reihe klarer Hinweise darauf gibt, dass jedenfalls die Armutsgefährdung von den Statistikern künstlich hochgehalten wird. So wird niemand ernsthaft behaupten wollen, dass Studenten armutsgefährdet sind, wenn sie über weniger als 14.200 Euro netto im Jahr verfügen. Genau dort liegt für einen Ein-Personen-Haushalt die Schwelle zur Armutsgefährdung.

Deutlich aussagekräftiger ist die Zahl materiell Benachteiligter. Betroffen sind rund 257.000 Personen, die schon eine unerwartete Mehrausgabe aus der Bahn werfen kann. Knapp 84.000 dieser Gruppe von Menschen fehlt es bereits am Nötigsten, sie zählen zu den Ärmsten der Armen in diesem Land. Man muss kein überzeugter Sozialist sein, um das für einen unhaltbaren Zustand zu halten. Natürlich hat Elfriede Hammerl recht, wenn sie die soziale Arroganz von Besserverdienern anprangert (profil 50/2017), wenn diese den Armen erklären, warum sie arm sind. Aber abgesehen von ein paar Dummköpfen wirft in Wahrheit doch niemand armen Menschen vor, deshalb arm zu sein, weil sie nicht wirtschaften können.

Arm sind Arme in Österreich deshalb, weil ihnen die nötige Qualifikation für eine Arbeit fehlt. Weil sie krank sind, weil sie einen Schicksalsschlag nicht verkraftet haben, weil sie dem Alkohol verfallen sind, oder sie einfach verdammt viel Pech in ihrem Leben hatten. Weil sie in die „falsche Familie“ und/oder in den „falschen“ Gemeindebezirk hineingeboren wurden. Etwa in einen „bildungsfernen Haushalt“, in dem die Eltern höchstens eine Pflichtschule absolviert haben und nicht über die nötigen Kontakte verfügen, weshalb ihr Kind dann auch noch in eine Schule kommt, in der kaum jemand ausreichend Deutsch spricht. In diesen Fällen ist die Einkommenskarriere bereits im Kinderalter zu Ende.

In Österreich kann jeder sechste Zehnjährige kaum lesen.

Das zeigen auch die in der Vorwoche präsentierten Ergebnisse eines internationalen Lesetests: Jeder sechste österreichische Volksschüler kann im Alter von zehn Jahren kaum lesen. Und das, obwohl Österreichs Bildungssystem zu den teuersten der Welt zählt. Geradezu bedrückend ist, dass Kinder „österreichischer“ Eltern ihren gleichaltrigen Klassenkollegen mit Migrationshintergrund beim Lesen um zwei Schuljahre voraus sind. Und das im Alter von zehn Jahren. Diese Kluft wird sich vergrößern: Der Statistik Austria zufolge haben 58,5 Prozent der Wiener Volksschüler Deutsch nicht als Umgangssprache.

Was das bedeutet, ist nicht schwer zu erraten: Hier werden Heerscharen an jungen Menschen in staatlichen Volksschulen vernachlässigt, womit an den Besuch einer höheren Schule nicht zu denken ist. Die einzige Perspektive, die vielen Kindern bleibt, ist die Aussicht auf einen Hilfsarbeiterjob, den es in fünf Jahren nicht mehr geben wird. Das ist ein handfester Skandal, der aber niemanden wirklich zu kratzen scheint.

Das Problem wird zwar gern in diversen Salonrunden mit bedrückten Gesichtern besprochen, aber von der Politik ignoriert oder mit untauglichen Mitteln bekämpft. Noch immer wird mit der Bildungs-Gießkanne durch Österreich gewandert und davon gesprochen, dass jedes Kind gleich viel wert sei. Stimmt. Was aber keineswegs heißt, dass jedes Kind gleich viel Steuergeld braucht, um ordentlich Lesen, Schreiben und Rechnen gelehrt zu bekommen. In Großbritannien, Frankreich oder der Schweiz wird das Budget von Schulen deshalb nach einem Sozialindex gestaffelt: mehr Geld für Schulen mit mehr Kindern aus bildungsfernen Haushalten. Wenn nötig, gibt es für hilfsbedürftige Schüler dann auch mehr Lese- und Sprachförderung.

Noch wirksamer wäre natürlich, „Brennpunktschulen“ gar nicht erst entstehen zu lassen, indem die Sprachförderung schon im Kindergarten forciert wird. Das enorm hohe Bildungsbudget von 18 Milliarden Euro im Jahr sollte umgeschichtet werden: weniger Geld für den universitären Bereich, mehr für die Volksschulen.

Nun kann man ja der Meinung sein, dass die Bildung unbedingt vom Staat zu erledigen sei. Wer das so sieht, sollte aber seine Augen nicht davor verschließen, dass es öffentliche Schulen sind, in denen die Armut von morgen heranwächst. Weil die Probleme nicht entschlossen bekämpft werden. Weshalb wir eben in mehr oder weniger regelmäßigen Abständen darüber diskutieren, warum es in einem so reichen Land wie Österreich immer noch Armut gibt.