profil-Kolumnist Franz Schellhorn

Franz Schellhorn: Brennt bald die Republik?

Die Gewerkschaften mobilisieren gegen den „12-Stunden-Tag“, sie warnen vor Lohnraub und regelmäßiger Mehrarbeit. Aber eigentlich geht es ihnen um etwas ganz anderes.

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Wir Österreicher sind ein Volk, das nicht gern streitet. Wir intrigieren lieber und finden am Ende einen Kompromiss, so faul dieser auch sein mag. Bis dato funktionierte dieses System ganz gut, nun scheint es aber ein Ende zu finden. Erstmals seit vielen Jahren droht dem Land ein echter Arbeitskonflikt, ausgelöst vom Vorhaben der Regierung, die tägliche Höchstarbeitszeit von zehn auf zwölf Stunden anzuheben, womit Österreich mit Ländern wie Schweden, Dänemark, Frankreich, Belgien oder die Niederlande gleichziehen würde.

Während Regierungsvertreter den Arbeitnehmern längere Freizeitblöcke versprechen, schlagen die Gewerkschaften Alarm: Der 12-Stunden-Tag werde nicht die Ausnahme, sondern die Regel sein. Lohnraub und schwere Beeinträchtigungen des Familienlebens stünden an der Tagesordnung, weshalb schon mal Streiks und konfliktbeladene Lohnrunden für den Herbst angekündigt werden.

Die Bevölkerung bleibt angesichts dieser doch etwas konträren Erzählstränge ratlos zurück. Was stimmt nun? Wer heimische Medien konsumiert, kennt die Antwort: Die Sache ist des Teufels. Vergangenen Donnerstag etwa wurde groß über eine Pressekonferenz von Wissenschaftern berichtet, deren Urteil ein vernichtendes ist: Der Soziologe Jörg Flecker warnt vor Sozialdumping, die Politikwissenschafterin Gabriele Michalitsch sieht die Arbeitnehmer de facto schutzlos ihren Chefs ausgeliefert, während Gerd Blasche von der MedUni Wien eine Häufung von Arbeitsunfällen, Herzinfarkten und Depressionen befürchtet. Organisiert wurde die Expertenrunde vom Institut für Politikwissenschaft der Uni Wien, genauer gesagt von der Forschungsgruppe „Zeitgenössische Solidaritätsstudien“.

Der ÖGB hätte es nicht besser hinbekommen. Dabei gäbe es auch andere Experten. Wie die Wiener Arbeitsrechtlerin Katharina Körber-Risak, die zwar kritisiert, dass die Regierung das Vorhaben im Eilverfahren durchpeitschen will, die Anhebung der Höchstarbeitszeit aber für sinnvoll hält. Weil kaum ein Arbeitgeber in der Lage sei, im Falle von Auftragsspitzen die derzeitige Höchstarbeitszeit einzuhalten. Besonders häufig seien Überschreitungen in der Wissensarbeit zu beobachten, also bei hoch qualifizierten Arbeitnehmern. „Nach zehn Stunden den sprichwörtlichen Bleistift fallen zu lassen, entspricht in weiten Teilen nicht mehr der modernen Arbeitswelt und auch nicht den Bedürfnissen der Arbeitnehmer“, wie Körber-Risak in einem Gastkommentar im Magazin „trend“ (Nr. 25) schreibt.

Der ÖGB kämpft gegen den drohenden Bedeutungsverlust.

Von einem generellen 12-Stunden-Tag könne keine Rede sein, weil in einem Zeitraum von 17 Wochen die durchschnittliche Wochenarbeitszeit von 48 Stunden nicht überschritten werden darf. Geleistete Mehrarbeit ist nicht nur zu bezahlen, sondern auch durch zusätzliche Freizeit auszugleichen. „Verblüffend“ ist für Körber-Risak das Argument der Gesundheitsgefährdung, gerade wenn es von Medizinern kommt. In öffentlichen Spitälern durfte bis vor Kurzem noch bis zu 72 Stunden am Stück gearbeitet werden, mittlerweile sind es noch 29 Stunden. In vielen Kollektivverträgen wurden 12-Stunden-Schichten vom ÖGB abgesegnet, etwa in der produzierenden Industrie, im Infrastrukturbereich oder der Gastronomie. „Warum hier mit zweierlei Maß gemessen wird, kann wohl niemand beantworten“, wie Körber-Risak meint.

Womit wir beim zentralen Grund der ganzen Aufregung angekommen wären: Dem ÖGB geht es nicht um den 12-Stunden-Tag. Sondern um den drohenden Bedeutungsverlust, den es abzuwehren gilt. Geht es nach den Plänen der Regierung, müssen Unternehmen künftig nicht mehr zu den Gewerkschaften pilgern, wenn sie Auftragsspitzen abdecken wollen, mit dem neuen Gesetz im Rücken ginge das auch ohne den Sanktus des ÖGB. Die Gewerkschafter zeigen mit der geschickt übertriebenen Kampagne gegen den 12-Stunden-Tag, dass sie nicht gewillt sind, sich aus dem politischen Spiel nehmen zu lassen (Erinnerungen an Rudi Kaske werden wach, der dem seinerzeitigen Kanzler Wolfgang Schüssel eine brennende Republik androhte).

Vergessen scheint, dass es eine von der SPÖ geführte Regierung war, die den Sozialpartnern 2017 den Auftrag erteilte, in Sachen flexiblerer Arbeitszeit und Mindestlohn eine Lösung auszuarbeiten. Der Mindestlohn wurde paktiert, eine schon ausverhandelte Arbeitszeitflexibilisierung im letzten Moment blockiert. Auch nach den Wahlen gab es keinerlei Bewegung, weshalb die neue Regierung nun das tut, was bereits die alte angekündigt hat: das Gesetz notfalls auch ohne die Sozialpartner zu verabschieden.

Zu hoffen ist, dass es ein klares, unmissverständliches Gesetz wird. Vielleicht könnte die im letzten Moment geplatzte Einigung der Sozialpartner aus dem Vorjahr als Vorlage dienen. Arbeitnehmer sollten Überstunden ohne Angabe von Gründen ablehnen und angesammelte Mehrarbeit in ganzen Tagen konsumieren dürfen. Das Horrorszenario wäre nämlich ein Gesetz mit jeder Menge Interpretationsspielraum und Tausenden Verfahren vor den Arbeitsgerichten. Wir Österreicher sind schließlich ein Volk, das nicht sehr gern streitet.

Franz Schellhorn ist Direktor des Thinktanks Agenda Austria.