Franz Schellhorn: Rot-Blau, ein Hirngespinst?
Wenige Tage vor der Nationalratswahl war Erstaunliches zu vernehmen: Das Rennen um Platz 1 sei wieder völlig offen, alle Umfragen der vergangenen Monate schienen über den Haufen geworfen. Kanzler Christian Kern hole immer weiter auf, sein Sieg sei in greifbare Nähe gerückt. Die Botschaft war klar: Jetzt ging es um alles, darum, alle Kräfte zu mobilisieren, um Sebastian Kurz und seine schwarz-blaue Schreckensherrschaft abzuwenden. Grün-Wähler liefen in Scharen zur SPÖ über, womit der Absturz auf Platz 3 gerade noch verhindert werden konnte. Die Strategen der SPÖ hatten ganze Arbeit geleistet – und die Grünen flogen aus dem Parlament.
Man wählt statt Grün Rot, um dann möglicherweise Rot-Blau durch die Hintertür auf die Regierungsbank zu führen.
Gescheitert sind die Grünen also nicht nur an sich selbst und an Peter Pilz – sondern an der SPÖ. 161.000 „grüne“ Stimmen gingen laut den Meinungsforschern von SORA an die SPÖ verloren, knapp 67.000 an die Liste Pilz. Ausgerechnet abtrünnige Grün-Wähler eröffneten also den Freiheitlichen eine zweite Regierungsoption und der geschlagenen SPÖ die Chance, mithilfe der FPÖ weiter den Kanzler zu stellen. Man wählt statt Grün Rot, um dann möglicherweise Rot-Blau durch die Hintertür auf die Regierungsbank zu führen. Dass die SPÖ plötzlich alles andere als abgeneigt ist, zeigt, wie geräuschlos die Partei Regierungsverhandlungen mit den Freiheitlichen genehmigte. „Machtversessen und zukunftsvergessen“, war da nicht etwas?
Am nötigen „Spin“ würde es jedenfalls nicht scheitern, das Ganze könnte etwa so aussehen: „Wir Sozialdemokraten können doch nicht tatenlos dabei zusehen, wie der Sozialstaat von der schwarz-blauen Bestie verspeist wird. Klar, wir haben gesagt, mit Platz zwei in die Opposition zu gehen. Und ja, die Freiheitlichen sind nicht unser Wunschpartner, aber harte Zeiten erfordern auch harte Entscheidungen. Und in so einer schweren Stunde stehen eben die Interessen des Landes über jenen der Partei. Wir beugen uns der schweren Pflicht, auch weiterhin die Regierungsgeschäfte zu führen. Das ist zwar nicht das, was wir versprochen haben, aber wir halten es da mit Groucho Marx: ‚Wir haben eiserne Prinzipien – und wenn sie Ihnen nicht gefallen, haben wir auch andere!‘“ Irgendwo müssen dann noch die „Staatsräson“ und der Name Wolfgang Schüssel rein, dann läuft die Sache.
Hochrangige Vertreter der Sozialdemokratie haben auch längst klargestellt, für die Opposition nicht gemacht zu sein. Das ist auch nicht gelogen: In den 72 Jahren seit Ende des Zweiten Weltkrieges war die SPÖ zehn Jahre nicht in der Regierung. Erstmals während der Alleinregierung der ÖVP von 1966 bis 1970, wirklich schmerzvoll waren aber die Jahre 2000 bis 2006. Eine Erfahrung, die sich aus Sicht des ÖGB keinesfalls wiederholen soll.
Mit Rot-Blau wären die Arbeitnehmerverbände ruhiggestellt.
Nun ist keineswegs gesagt, dass aus der rot-blauen Anbahnung auch eine Koalition wird. Aber unwahrscheinlich ist das nicht. Vertreter der Blauen erzählen hinter vorgehaltener Hand ziemlich offen, dass sie lieber mit der SPÖ regieren würden, aus atmosphärischen wie strategischen Gründen. So wird erwartet, dass die SPÖ einen höheren Preis zu bezahlen bereit ist. Und mit Rot-Blau wären auch die beiden Arbeitnehmerorganisationen ruhiggestellt, die im Falle von Schwarz-Blau „Sozialabbau“ skandierende Massen auf die Straßen treiben würden.
Letzteres dürfte nicht übertrieben sein. Erst vergangenen Mittwoch sendete der ÖGB eine unmissverständliche Warnung aus. In einer Resolution hat der Bundesvorstand des ÖGB alle Parteien ermahnt, die Rolle der Sozialpartner anzuerkennen, sprich: unangetastet zu lassen. Wer den sozialen Frieden aufs Spiel setze, habe mit „massivem Widerstand“ der Gewerkschaft zu rechnen. Klar, an wen die Botschaft ging.
Aber wird tatsächlich der soziale Friede aufs Spiel gesetzt, wenn die Sozialpartner „nur mehr“ Löhne verhandeln und die Regierung endlich regiert? Geht es nicht vor allem darum, dass die nächste Regierung damit aufhört, Regierungsgeschäfte an die Sozialpartner auszulagern? Die Regierung soll regieren, sie kann ihre Pläne gerne den Kammern und Gewerkschaften zur Begutachtung vorlegen – aber nicht umgekehrt. In den vergangenen Jahren war es ja so, dass der Nationalrat die von den Sozialpartnern entworfenen Gesetzesentwürfe begutachtete. Das ist nicht ganz im Sinne der parlamentarischen Demokratie, um es einmal so auszudrücken.
Eine Abkehr von dieser Praxis wäre freilich nicht im Interesse wichtiger Pressure-Groups wie dem ÖGB, der nicht zuletzt deshalb innerhalb der SPÖ für eine Koalition mit der FPÖ wirbt. An dieser Stelle kommt dann gerne der Einwand, dass es die Sozialdemokratie mit den Blauen „zerreißen“ würde. Eine interessante These, schließlich wird wohl niemand behaupten wollen, dass fünf Jahre Opposition mit Aussicht auf mehr die Partei so richtig zusammenschweißen würde. Deshalb ist auch wenige Tage nach der Nationalratswahl Erstaunliches zu vernehmen.