profil-Kolumnist Franz Schellhorn

Franz Schellhorn: Trump, der Vorzeige-Europäer

Der US-Präsident steht im Verdacht, einen globalen Handelskrieg anzuzetteln. Die wahren Protektionisten sitzen derweil in Europa.

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Während hierzulande tagtäglich vor dem weltumspannenden Siegeszug des Neoliberalismus gewarnt wird, ist außerhalb diverser Twitter-Blasen und Gewerkschaftszirkel das genaue Gegenteil zu beobachten. Seit Ausbruch der Finanzkrise feiert der Sektor Staat ein fulminantes Comeback: Es wird reguliert und interveniert, was das Zeug hält, von großen Privatisierungswellen ist weit und breit nichts zu sehen, über ein Fünftel der 500 größten Firmen der Welt sind in Staatsbesitz (2005: 9,5 Prozent). Und vor unseren Türen droht ein Handelskrieg auszubrechen, wie ihn die Welt seit vielen Jahrzehnten nicht mehr gesehen hat.

Der Freihandel steht tief im politischen Abseits, während die Abschottung nationaler Märkte vor ausländischer Konkurrenz so populär ist wie zuletzt in den 1930er-Jahren. Verantwortlich für diese Entwicklung – darin sind sich mediale Beobachter weitgehend einig – ist ein Mann: Donald Trump. Der US-Präsident habe mit seinen Strafzöllen auf Importe aus Europa und China einen populistisch motivierten Handelskrieg angezettelt, um seinen Wählern zu zeigen, dass endlich jemand entschlossen gegen die vielen Billigimporte vorgeht. Verbunden mit dem Ziel, Arbeitsplätze in den USA zu halten und die Staaten zu alter Größe zurückzuführen. "Make America great again!"

In Europa wird Trump für seine Handelspolitik mit Hohn und Spott überschüttet. Das ist in diesem konkreten Fall schon ein wenig überraschend, weil der US-Präsident genau das macht, was europäische Spitzenpolitiker von links bis rechts seit Jahren beharrlich einfordern: nationale Märkte mit Zöllen vor günstigen Importen zu schützen. Das gilt nicht zuletzt für Österreich. So heißt es im "Plan A" des früheren Bundeskanzlers Christian Kern wortwörtlich: "Die USA zeigen vor, wie es geht, und haben Einfuhrzölle für chinesischen Stahl von bis zu 260 Prozent erlassen. Europa war bisher hingegen untätig und hat einen Zoll von nur 30 Prozent. Daher fordern wir auf europäischer Ebene vehement neue Maßnahmen gegen Dumping, insbesondere einen angemessenen Aufschlag von mehr als 200 Prozent auf chinesischen Stahl."

Ausgerechnet, möchte man meinen. Wissenschaftlich gesehen ist nämlich sonnenklar, welche Folgen Zölle haben: Sie erhöhen die Gewinne der Unternehmen, denen sie perfekten Schutz vor der ausländischen Konkurrenz bieten, kommen aber den Verbrauchern teuer zu stehen. Diese bezahlen über erhöhte Preise die Zeche des sedierten Wettbewerbs, worunter vor allem einkommensschwache Schichten besonders stark zu leiden haben. Also genau jene Bevölkerungsgruppen, die Vertreter freihandelskritischer Parteien bei jeder Gelegenheit zu schützen vorgeben.

Zölle retten keine Arbeitsplätze, ganz im Gegenteil.

Zölle retten auch keine Arbeitsplätze, ganz im Gegenteil. Die seinerzeit von George W. Bush eingeführten Stahlzölle kosteten in anderen Sektoren mehr Menschen den Job als in der gesamten US-Stahlindustrie beschäftigt waren. Aktuellen Berechnungen zufolge würden auch mit Trumps Zollplänen unter dem Strich mehr als 100.000 Jobs verloren gehen. Warum die Politik dennoch zu Zöllen greift? Weil die Masse der Bevölkerung nicht wisse, dass sie überhöhte Preise zahle, während die deutlich kleinere Zahl an Produzenten den beinharten Kampf um Marktanteile mit der ausländischen Konkurrenz täglich zu führen habe und auch viel stärker lobbyiere als die Verbraucherverbände, wie der Wirtschaftsforscher Hans-Werner Sinn argumentiert.

Nicht nur stärker, sondern auch erfolgreicher. Das gilt nicht nur für die USA, sondern auch für Europa. So inszeniert sich die EU zwar gekonnt als Gralshüterin des freien Handels, lässt aber im politischen Tagesgeschäft ihren protektionistischen Trieben freien Lauf. Während die USA aus Europa eingeführte Automobile mit 2,5 Prozent Zoll belegen, besteuert die EU aus den USA importierte Kraftwagen mit zehn Prozent.

Europäische Milchprodukte werden von Washington mit 20 Prozent besteuert, Europa belegt Rindfleisch aus den USA mit 68 Prozent (!), Schweinefleisch mit 26 Prozent und Hühnerfleisch mit 21 Prozent Zoll. Von anderen Handelshürden wie Normen und dergleichen ganz zu schweigen.

Es ist also keineswegs so, dass hier die USA einseitig gegen ihre Handelspartner vorgingen. Die beteiligten Länder bleiben einander wenig schuldig. Weshalb die Europäische Union Hans-Werner Sinns Vorschlag aufgreifen und ihrerseits in die Offensive gehen sollte. Indem sie neue Abkommen zum großflächigen Abbau von Zöllen aushandelt respektive umsetzt. Nicht nur mit den USA, sondern auch mit Kanada oder Japan.

Das ist zugegebenermaßen nicht ganz einfach, weil die Zolleinnahmen direkt in die Kassen der EU wandern und die öffentliche Stimmung nicht gerade eine ist, die nach mehr Freihandel ruft. Obwohl dieser nach Ansicht einer breiten Mehrheit unter den Ökonomen für alle Beteiligten von Vorteil und die Basis unser aller Wohlstand ist. Was in diversen Twitter-Blasen und Gewerkschaftszirkeln natürlich etwas anders gesehen wird.