Gabi, Helga, Claudia und der böse Wolf

Gastkommentar. Von Hans Hurch

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Ganz sicher war man sich nicht in der "Presse“, welche der beiden Ausladungen nun die ungehörigere war. In einem detaillierten Artikel wurde der Widerruf einer Einladung an Johannes Heesters referiert, den der deutsche Bundespräsident auf Drängen seiner Gäste schließlich doch lieber nicht zum Staatsdinner an einen Ehrentisch mit der niederländischen Königin bitten wollte. Während der greise Nazi-Kollaborateur Heesters bei uns noch immer als ewig junger Charmeur und lustiger Unterhalter durch manche Medien geistert, haben seine niederländischen Landsleute offensichtlich ein etwas differenzierteres Verhältnis zu ihm. Unter anderem war Heesters, so die historischen Fakten, auf Wunsch der Nazis und zur Unterhaltung der SS-Mörder im Vernichtungslager Dachau aufgetreten. Unter dem Motto "Das gibt’s nur einmal, das kommt nie wieder“ sah sich Jopi schon das Glas auf seine Königin erheben, und umso bitterer traf ihn dann die unerwartete Nachricht. So groß war seine Enttäuschung, berichtete die "Presse“, dass man sich ernsthafte Sorgen um Leben und Gesundheit des 107-Jährigen machen musste.

Ebenfalls politischen Hintergrund, aber ganz anderer Art, hatte eine andere Ausladung, die zur gleichen Zeit erfolgte und sich am selben Tag in den Zeitungen fand. Es war im Übrigen der 1. April. Auf wessen Drängen diesmal, ist zwar bis heute unklar, Tatsache aber ist, dass die für die Eröffnung der Salzburger Festspiele zuständige Landeshauptfrau Gabi Burgstaller ihre ursprüngliche Einladung an den renommierten Schweizer Soziologen und Autor Jean Ziegler, die Eröffnungsrede zu halten, wieder zurückzog. Frau Burgstaller hatte gemeinsam mit Festspielpräsidentin Helga Rabl-Stadler eine unvertretbare und skandalöse politische Haltung Jean Zieglers ausgemacht und den kritischen linken Essayisten unter schäbigen Vorwänden und fragwürdigen Verdrehungen in die Nähe Muammar al-Gaddafis gerückt - in diesen Tagen ein Totschlagargument, das Ziegler in der Folge glaubwürdig entkräftet hat. "Man habe befürchtet“, so hieß es in einer Presseaussendung der Festspiele, "dass nicht der Inhalt von Zieglers Festspielrede im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit stehen würde, sondern die Kritik an ihm.“ Was für eine wunderbare und scheinheilige Volte, die sich Gabi und Helga da zurechtgelegt haben. Zuerst schüttet man den Mann ausreichend an, um dann zu erklären, so pudelnass und triefend könne er wohl nicht gut auf die Bühne gehen und seine Rede halten.

Während der Salzburger Affront im internationalen Feuilleton für ausführliche Kommentare und massive Kritik sorgte, nahm man das Ganze in Österreich, mit Ausnahme einiger Künstler wie Elfriede Jelinek oder Peter Turrini, mit einer kopfschüttelnden Mischung aus Gelassenheit und Unverständnis zur Kenntnis. Die meisten Medien erwiesen sich, wie viel zu oft in kulturpolitischen Fragen, als sleeping beauties, und neben vereinzelten Interviews mit Jean Ziegler fand sich einzig im "Kurier“ ein deutlicher Kommentar des Kulturchefs. Die Salzburger Vorgänge, hieß es da, würden "nach Zensur riechen“.

And if it smells like a duck, it is a duck. Denn was sonst als Zensur ist die Salzburger Entscheidung, einem kritischen und manchmal unberechenbaren Zeitgenossen das Wort zu entziehen, bewusst einen Auftritt zu verhindern, der möglicherweise am Ende den faulen Frieden der Festspieleröffnung mit ein paar widerspenstigen und dringlichen Gedanken und Worten zum Zustand der Welt unterlaufen hätte. Und dass sich Landeshauptfrau und Präsidentin jetzt gegen "Unwahrheiten und Unterstellungen“ wehren, die Ausladung habe etwas mit den Interessen von Sponsoren zu tun, ist einerseits Schutzbehauptung, andererseits nur die halbe Wahrheit. Man war einfach zu feige und zu opportunistisch, den einmal eingeschlagenen Weg zu Ende zu gehen. Aber hierzulande gilt bekanntlich für jeden so lange die Unschuldsvermutung, bis er sich selbst zum Opfer erklärt hat.

Aber die Salzburger Willkür hat noch eine andere Dimension. Sie betrifft grundsätzliche Fragen der heimischen Kulturpolitik und die politische und moralische Verantwortung einer Ministerin, die für die Festspiele in wesentlicher Form mit zuständig ist. Und darüber hinaus für die allgemeine Verfasstheit des kulturpolitischen Klimas und Diskurses in diesem Land. Es ist geradezu ein Scherz, diese Zeilen zu formulieren, denn es gibt keine Ministerin, die sich zuständig fühlt, es gibt keine aktive, lebendige Kulturpolitik, keine neuen kulturpolitischen Ideen und Projekte, ja, es gibt nicht einmal die alte, symbolische Anwesenheit einer Person, deren Wort und Beispiel politisches und moralisches Gewicht hätten.

Wen also wundert das Schweigen von Ministerin Claudia Schmied und ihrer Vertreter im Salzburger Festspielkuratorium? Ihr Totstellen in einem Moment, da Meinung und Haltung gefragt wären? Es ist Teil des ministeriellen Repertoires, genauso wie jener brachiale Opportunismus, mit dem sie den jahrelang von ihr bewunderten und gehätschelten Museumsdirektor über Nacht in aller Öffentlichkeit zum Kriminellen erklärt, oder die Verdrehungen und Halbwahrheiten, mit denen sie der Kritik von Presse und Filmemachern zu den offensichtlichen Problemen der Filmförderung kontert, um nur einige Beispiele aus den vergangenen Wochen zu nennen.

Ihre Aufgabe sei, Rahmenbedingungen zu schaffen, wird Claudia Schmied nicht müde, in fantasielosem Pragmatismus zu betonen. Aber was, wenn plötzlich etwas nicht in diesen Rahmen passt, wie etwa ein eigensinniger und widerständischer Denker und Redner? "Wenn ich die Freiheit der Kunst infrage gestellt sehe, melde ich mich zu Wort“, hatte die Ministerin einst in einem Interview erklärt. Vielleicht einmal bei der Eröffnung der Salzburger Festspiele.

Inzwischen sind Gabi und Helga, diesmal gemeinsam, wieder auf der Suche nach einem neuen Redner. Oder einer Rednerin. Man darf gespannt sein, wer sich findet. Aber hoffentlich begegnen sie nicht wieder dem bösen Wolf.


Hans Hurch, Jahrgang 1957, ist seit 1997 Direktor des Wiener Filmfestivals Viennale.