Georg Hoffmann-Ostenhof

Georg Hoffmann-Ostenhof Deeskalieren!

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Verständlich, dass Angela Merkel „not amused“ war, als sie erfuhr, dass die Amerikaner ihr Handy abhörten. Nicht minder nachvollziehbar ist aber, dass sich in die Entrüstung der Deutschen über die amerikanischen Spitzeleien nun auch Schadenfreude mischt. Die Kanzlerin hatte im Sommer nur matt reagiert, als das Ausmaß bekannt wurde, mit dem die US-Geheimdienstorganisation NSA im Privatleben der Millionen Deutschen herumschnüffelt. Jetzt spürt Merkel den Eifer der US-Schlapphüte am eigenen Leib.

Aber Berlins Überraschung und Empörung über das, was „Handygate“ genannt wird, ist doch ein wenig geheuchelt. Der viel zitierte Satz des ehemaligen US-Außenministers Henry Stimsons von 1929, wonach „Gentlemen nicht die Briefe anderer Gentlemen lesen“, entsprach schon damals nicht der Realität. Natürlich haben sich über die Jahrzehnte hinweg Bündnispartner immer wieder gegenseitig bespitzelt. Auch Premiers und Präsidenten waren nicht tabu. Und die Leute von der Pariser Direction Générale de la Securité sowie Her Majesty’s Spooks jenseits des Kanals sind nicht viel weniger pingelig als ihre Kollegen in Washington. Zurückhaltender dürften – sensibilisiert durch ihre böse totalitäre Vergangenheit mit SS, SD und Stasi – bloß die Deutschen agieren.

Also nichts Neues im Westen? Doch. Gerade die vergangenen Tage haben gezeigt, was für eine verrückte Dimension die amerikanische Spionage angenommen hat. Da wurde bekannt, dass die NSA in nur einem Monat 70 Millionen Telefongespräche französischer Staatsbürger überwacht hat. Rational können solche Umtriebe wohl kaum erklärt werden. Und was es der amerikanischen Sicherheit bringen soll, Angelas BlackBerry abzuhören, ist auch nicht evident.

Es stimmt schon: Die NSA läuft Amok. Seit dem 11. September 2001 ist ganz Amerika, inklusive der Regierenden, von einer Sicherheitsparanoia erfasst. Das gab den US-Diensten ungeahnten Spielraum. Dazu kam, dass ihnen die Internetrevolution gewaltige neue Möglichkeiten der Überwachung eröffnete, was zu einer geradezu grotesken Datensammlungsmanie führte.

Die überbordenden Aktivitäten von NSA und Co. haben den USA bereits schweren Schaden zugefügt. Seit Whistleblower Edward Snowden im vergangenen Sommer die monströsen Überwachungsprogramme der NSA publik gemacht hat, sind die Popularitätswerte Amerikas global abgestürzt – gerade auch in den verbündeten europäischen Ländern. Immer öfter muss sich Barack Obama für den Spitzeleifer seiner Geheimdienste rechtfertigen.

Höchste Zeit, dass er diese wieder in den Griff bekommt. Und es läge in seinem ureigensten Interesse, die von Europa geforderten Verhandlungen zu beginnen – mit dem Ziel, das gegenseitige Ausspionieren zu begrenzen und den Geheimdiensten einen Verhaltenskodex zu verordnen.
Gleichzeitig aber wären die europäischen Regierungen gut beraten, ihre durchaus berechtigte Empörung über den „großen Bruder“ nicht ausufern zu lassen und bald wieder zur Nüchternheit normaler diplomatischer Gepflogenheiten zurückzukehren. Einmal losgelassen, können nämlich negative Gefühle den USA gegenüber eine nicht zu kontrollierende Eigendynamik entfalten.

Und das ist weder im Interesse der Vereinigten Staaten noch dem Europas. Eine langfristige transatlantische Eiszeit wäre fatal. Die USA seien nicht mehr die strahlende, alles beherrschende Supermacht und Europa befinde sich – zumindest relativ zum Rest der Welt – im Niedergang, befindet der amerikanische Starkolumnist Roger Cohen und schreibt: „In dieser historischen Situation ist die US-europäische Kooperation doppelt wichtig.“ Dem kann man nur zustimmen.

Die von einigen Sozialdemokraten Europas vorgebrachte Drohung, die Gespräche über transatlantischen Freihandel auszusetzen, geht in die genau falsche Richtung.

Die momentane US-europäische Verstimmung kann unnötiger nicht sein. Sie erscheint weltpolitisch in höchstem Maße dysfunktional.

Denn genau betrachtet, waren sich die globalen Perspektiven Europas und Amerikas kaum je so nahe. Sie konvergieren geradezu. Obama setzt auf multilaterales Handeln. Der auftrumpfende Militarismus, der unter George W. Bush die US-Außenpolitik bestimmt hat, ist zu Ende. Trotz Obamas Drohnenkrieg – jetzt sind Dialog, Verhandlungen und Entspannung angesagt. Das erscheint frappant europäisch. In diesem Kontext können die EU-Staaten ihr globales Politik-Potenzial bei Weitem besser entfalten, als in einer Situation, in der die Amerikaner dauernd auf Krieg aus sind.
Ein konkretes Beispiel: Europa könnte heute, etwa im Nahen Osten – was den Iran, Syrien oder den israelisch-palästinensischen Konflikt betrifft – seit Langem wieder eine echte politische Rolle spielen. Vorausgesetzt natürlich, dass die EU-Staatskanzleien zu einer gemeinsamen Linie finden oder sich zumindest außenpolitisch koordinieren.

Man möge bei allem Ärger über die US-Schnüffeleien und bei aller Aufregung über die Überwachung von Angelas Handy auch nicht vergessen, dass Europa mit Obama – trotz aller Kritik, die man an ihm üben kann – den zivilisiertesten und vernünftigsten amerikanischen Präsidenten seit Langem als Gegenüber hat.

Eine baldige Deeskalation des Konflikts zwischen USA und Europa wäre dringendst zu wünschen.

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