Über Thüringen, die Gefährlichkeit der Linkspartei und Joachim Gaucks Unverblümtheit

Georg Hoffmann-Ostenhof: Die Nachfolger

Die Nachfolger

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Da hat der historische Zufall Regie geführt. Just zum Vierteljahrhundert-Jubiläum des Mauerfalls wird demnächst Bodo Ramelow, ein Vertreter der Linken, Ministerpräsident von Thüringen. Eine Premiere: Das erste Mal seit dem Ende der DDR gelangt damit die Nachfolgepartei der SED in einem deutschen Bundesland an die Regierungsspitze.

Die in Thüringen überaus schwachen Sozialdemokraten hatten es satt, wie bisher als kleiner Juniorpartner in einer CDU-Regierung zu darben. Eine rot-rot-grüne Koalition geht sich nach den jüngsten Wahlen knapp aus. Und die dortigen SPD-Mitglieder haben in einem Referendum mit großer Mehrheit ihr Plazet zur Beteiligung der Partei an einer von Ramelow geführten Regierung gegeben.

Alles geht seinen sozialistischen Gang. Und doch ist in der deutschen Öffentlichkeit ein heftiger Streit ausgebrochen. Weniger darüber, wer nun in Erfurt regieren soll, sondern ob sich Bundespräsident Joachim Gauck dazu äußern darf.

„Menschen, die die DDR erlebt haben und in meinem Alter sind, die müssen sich schon ganz schön anstrengen, um dies zu akzeptieren“, sagte Gauck, der seinerzeit als Bürgerrechtsaktivist am Sturz des SED-Regimes beteiligt war, in einem Interview. Es bleibe die Frage: „Ist die Partei, die da den Ministerpräsidenten stellen wird, tatsächlich schon so weit weg von den Vorstellungen, die die SED hatte bei der Unterdrückung der Menschen hier?“

Klar, dass sich die Linke aufregte. Ebenso verständlich, dass die SPD über die Gauck-Auslassungen nicht erfreut war. Aber auch in den liberalen Medien wurde vielfach der Vorwurf erhoben, der Bundespräsident habe sich in aktuelle Parteipolitik eingemischt und damit die Kompetenzen seines Amtes flagrant überschritten.

Es drängt sich der Verdacht auf, dass es bei den doch recht vehementen Attacken auf Gauck nicht allein um Thüringen und die Linke geht. In der Tat ist Gauck in den vergangenen Monaten gleich mehrfach angeeckt und hat von breiten Teilen der Öffentlichkeit sein Fett abgekriegt.

Erinnern wir uns: Aufsehen erregte seine Rede bei der Münchner Sicherheitskonferenz Anfang des Jahres, in der er meinte, Deutschland müsse mehr internationale Verantwortung übernehmen und keinen Zweifel daran ließ, dass er dies auch militärisch meint. Das war ein Schlag gegen den tief verwurzelten deutschen Pazifismus, der im Land offenbar wieder in voller Blüte steht.

Kurze Zeit hatte dieser ein wenig Pause gemacht. Paradoxerweise war vor allem Außenminister Joschka Fischer von den sonst so friedensbewegten Grünen ausschlaggebend dafür gewesen, dass deutsche Soldaten in den Kosovo-Krieg und nach Afghanistan zogen. Seit dem von Berlin zu Recht abgelehnten – desaströsen – Irak-Krieg von George W. Bush ist Deutschlands Mainstream freilich wieder zu seinem traditionellen Pazifismus zurückgekehrt. Für die notorischen Friedensfreunde war Gaucks Plädoyer für mehr deutsches Engagement auf der Welt eine geradezu kriegshetzerische Provokation.

Ähnlich wurde weithin seine Ansprache empfunden, die er in Danzig am 1. September beim Gedenken an den deutschen Überfall auf Polen vor 75 Jahren hielt: Da fand er scharfe Worte zur Annexion der Krim durch Russland, wies darauf hin, „dass territoriale Zugeständnisse den Appetit von Aggressoren oft nur vergrößern“ und mahnte die „entschlossene Reaktion des Westens“ auf Wladimir Putins Ukraine-Kurs an. Jedenfalls werde Deutschland seine Politik, Wirtschaft, ja, auch Verteidigungsbereitschaft den neuen Umständen anpassen, versicherte er den Polen.

Ein Schlag ins Gesicht all jener, die großes Verständnis für Moskau und Putin zeigen und Sanktionen dezidiert ablehnen. Und das sind bekanntlich nicht nur Rechts- und Linksradikale, sondern auch deutsche Industriekreise und hoch geachtete Ex-Politiker wie Helmut Schmidt.

Dass Leute mit Gaucks Biografie die Entwicklung in Thüringen nicht leicht akzeptieren können, ist nur allzu verständlich. Dessen Frage aber, ob die Linke bereits genügend Distanz zur SED gewonnen habe, um politisch salonfähig zu sein, darf man beruhigt mit Ja beantworten. Dort, wo sie politisch Verantwortung übernehmen, haben sich die Linkspolitiker meist als vernünftige, umgängliche und pragmatische Leute erwiesen, mit denen gut zusammenzuarbeiten ist. Und selbst wenn da irgendwelche antidemokratische und nostalgisch-totalitäre Anwandlungen wären – „die Linke ist gewissermaßen rechtsstaatlich umzingelt“ („Neue Züricher Zeitung“).

Von ihnen geht für die Demokratie keine Gefahr aus. Die ohnehin bereits aufgeweichte politische Quarantäne ist – vor allem in den Ländern und Kommunen – nicht mehr zeitgemäß.

Auch auf Bundesebene sollte eine Koalition mit den Linken kein Tabu mehr sein. Ohne Probleme bliebe eine solche dennoch nicht. Obwohl für die SPD eine Koalition mit der Linkspartei und den Grünen die einzige Chance ist, auf absehbare Zeit wieder den Kanzler zu stellen, werden sich die Sozis sehr wohl überlegen, ein derartiges Regierungsbündnis einzugehen. Freilich nicht wegen der Vergangenheit der Linken, wie Gauck meint, sondern wegen deren Gegenwart. Sie stellen die westliche Allianz infrage, vertreten einen strikten Pazifismus und haben sich in der Ukraine-Frage auf die Seite des Moskowiter Autokraten geschlagen. Bleiben sie hartnäckig bei diesen Positionen, wird es wohl schwierig werden, sie in Berlin an der Macht zu beteiligen.

Joachim Gauck aber ist ein Glücksfall. Gerade das, was jetzt an ihm kritisiert wird – seine Bereitschaft zum offenen Wort und zur politischen Einmischung –, macht ihn zu einem hervorragenden Bundespräsidenten der Deutschen. Man kann ihnen nur gratulieren.

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Georg Hoffmann-Ostenhof