Georg Hoffmann-Ostenhof

Georg Hoffmann-Ostenhof Ein Wächter für Österreich

Ein Wächter für Österreich

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Es war ja klar: Brüssel lässt Hellas nicht bankrottgehen. Noch nicht jetzt, aber demnächst werden EU-Milliarden nach Athen fließen, um die griechische Finanz zu stabilisieren. Griechenland ist jedenfalls unter Kuratel gestellt.
Wie genau die Europäische Union die Sanierung der dortigen Wirtschaft, den angeordneten Sparkurs und die verlangten Reformen überwachen wird, ist noch nicht klar. Der Vorsitzende der für die Wirtschaftskrise zuständigen Kommission des EU-Parlaments, Wolf Klinz, schlug jedenfalls vor, Brüssel möge demnächst einen Sonderbeauftragten in Athen einsetzen, der die Regierung bei der Sanierung „berate“. Er würde „zugleich als möglicher Sündenbock für unpopuläre Maßnahmen dienen“. Als unabhängige Instanz könne solch ein mit ­Autorität ausgestatteter Vertreter Brüssels helfen, die notwendige, schmerzhafte Politik zu implementieren.
So etwas Ähnliches hatten wir in Österreich schon. Ich erinnere mich, wie mein Großvater, der Rechtsanwalt Walter Löwenfeld-Russ (Jahrgang 1880), als alter Mann in den sechziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts regelmäßig beim Frühstück die Börsenkurse in der „Presse“ studierte – für ihn offenbar keine fröhliche Lektüre. 1923 war der studierte Jurist als Richter abgebaut worden. Er hatte damals Aktien heimischer Unternehmen als kleine Abfertigung ­erhalten. Österreichs Finanzen waren in den frühen zwanziger Jahren vollends zerrüttet, Hyperinflation erschütterte das Land. Eine Völkerbundanleihe sollte Österreich aus der Misere helfen. Dafür musste Wien das Finanzdiktat des Völkerbund-Kommissärs Alfred Zimmermann akzeptieren. Der ehemalige Rotterdamer Bürgermeister war nach Wien entsandt worden und ordnete neben anderem auch die Reduzierung des aufgeblähten Beamtenapparats um ein Drittel an. Mein Großvater war eines der „Opfer“ der so genannten Zimmermann-Ära. Sie sollte bis 1926 dauern. Österreichs Finanzhaushalt wurde saniert, das Land vor dem völligen Kollaps gerettet.

Natürlich kann man sich keine griechischen Verhältnisse wünschen. Und auch der Rückblick auf die Zimmermann-Ära lässt einen mitnichten nostalgisch werden. Dennoch ist zuweilen die Vorstellung reizvoll, eine von ­außen kommende unabhängige Instanz werde helfen, notwendige Reformen auf den Weg zu bringen, die aus eigener Kraft nicht angegangen werden können.
Nehmen wir die Verwaltungsreform. Solange ich mich erinnern kann, hatte noch jede österreichische Regierung bei ihrem Antritt die strukturelle Neuordnung des Staates versprochen. Es wurde niemals etwas daraus. Denn jede sinnvolle Verwaltungsreform müsste die Macht der Bundesländer drastisch ­beschneiden. Und das lassen diese sich nicht gefallen.
Auch da fällt mir Historisch-Familiäres ein. Der Bruder meines Großvaters, Hans Löwenfeld-Russ, war von 1918 bis 1920 amtierender Staatssekretär für Volksernährung. In ­unveröffentlichten Memoiren berichtete dieser bürgerliche ­Liberale und ehemalige k. u. k. Sektionschef von einem ­Gespräch mit dem damaligen sozialdemokratischen Bundeskanzler Karl Renner. Löwenfeld-Russ vertrat gegenüber Renner die Ansicht, dass der Föderalismus der in Vorbereitung befindlichen Verfassung völlig unangemessen sei. Im Vielvölkerstaat wäre dieser noch vertretbar gewesen: „Aber die Bevölkerung der neuen Republik sei doch völlig einheitlich in Sprache, Religion, Kultur und Wirtschaft. Dass man das Staatsgebiet in acht, neun Teile zerlege, dass man Gebiete, die nicht mehr Einwohner haben wie einer der bevölkertsten Bezirke Wiens, mit einer Landesregierung, einem Landtag und einer Gesetzgebung usw. ausstatten wolle, ­widerspreche doch allen Grundsätzen eines geordneten Staatswesens. Das sei unökonomisch und verschwenderisch.“
„Renner“, fuhr mein Großonkel fort, „hörte mir lächelnd zu und meinte dann: ,Herr Dr. Löwenfeld, Sie sind kein Politiker, sonst müssten Sie einsehen, dass, so vernünftig und berechtigt Ihre Anschauungen in der Theorie sein mögen, sie in der ­Praxis undurchführbar sind. Glauben Sie wirklich, dass die Alpen­länder sich einer im roten Wien residierenden Zentralbürokratie unterwerfen würden? Nein, durch den Tunnel der föderativen Verfassung müssen wir vorläufig jedenfalls fahren.‘“

Diese Vorläufigkeit dauert nun bereits neun Jahrzehnte an. Wir stecken immer noch im Tunnel. Und Licht ist nicht in Sicht. Wieder einmal wird betont, was man sich nicht alles mit einer Verwaltungsreform ersparen könnte, wie sehr eine solche dazu beitragen würde, den Staatsschuldenberg abzutragen. Und wieder werden sich die Bundesländer querlegen, obwohl jeder weiß, dass der Föderalismus nicht nur teuer ist, sondern auch wesentliche Reformen – etwa im Gesundheitsbereich und im Schulwesen – aufs Schwerste behindert.
Man wünscht sich ja nicht, dass Österreich noch tiefer in die Krise schlittert und dass wir gerettet werden müssen. Aber eine kleine robuste politische Hilfe von außen täte uns schon gut. Ein Alfred Zimmermann des 21. Jahrhunderts würde jedenfalls dem Ballhausplatz klarmachen, dass die ­Republik mit dem föderalistischen Unsinn aufhören muss. Wahrscheinlich würde er auch Druck machen, dass Österreich sich steuerlich europäischen Standards annähert. Das hieße: Vermögen stärker und Arbeit geringer zu besteuern.
Nun ist freilich Griechenland dran. Und es wird nicht das letzte marode europäische Land sein, dem tief greifende Reformen von Brüssel vorgeschrieben werden. Ob nun Sonderbeauftragte ausgeschickt werden oder nicht – eins hat die griechische Pleite jetzt schon erreicht: Es hat das Bewusstsein in der EU für das Selbstverständliche geschaffen: dass man bei einer gemeinsamen Währung auch eine gemein­same Wirtschaftspolitik braucht.

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Georg Hoffmann-Ostenhof