Georg Hoffmann-Ostenhof

Georg Hoffmann-Ostenhof Gute Manieren

Gute Manieren

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Sie sollten sich doch dazu bekennen, dass sie bürgerlich sind, fordert Hans Rauscher in einem „Standard“-Kommentar die österreichischen Grünen auf. Sie hätten bürgerliche Ziele, die meisten ihrer Politiker stammten aus gut situierten Familien und ihre Wähler seien zum großen Teil auch Angehörige der Mittelschicht. Warum, so fragt Rauscher, will die grüne Führung partout nicht zur bürgerlichen Identität ihrer Partei stehen? Warum bleiben vor allem die Wiener Grünen bei ihrer „retrolinken Rhetorik und Programmatik“? Warum ist das „altlinke Funktionärs- und ,Basis‘-Element“ in dieser Partei so wirksam?

Kein Verständnis hat Rauscher für die Flapsigkeit der Wiener Vizebürgermeisterin Maria Vassilakou, wenn die auf eine entsprechende Frage antwortet: „Ich definiere bürgerlich als artig sein und schön grüßen, Zähne putzen und manierlich sein.“ Und ihre Aussage, dass für sie „bürgerlich“ keine politische Kategorie sei, hält Rauscher für einen „schweren Irrtum“.

In diesem Punkt hat er sicher recht. In seiner Kritik an dem mangelnden bürgerlichen Bekennertum der Grünen aber sollte man ihm nicht folgen.
Also, was bedeutet bei uns in Österreich „bürgerlich“?

Rauscher spannt einen großen historischen Bogen: Er verweist auf die Aufklärung, auf den Kampf des aufstrebenden Stadtbürgertums gegen absolute Monarchie, Adel, Kirche und „gegen Rückständigkeit, Obskurantismus und Vorurteil“. Und so sei das auch heute: Das Eintreten für politische, kulturelle und individuelle Freiheiten, für eine intakte Natur und für Sauberkeit im öffentlichen Leben sei, so wie „der Kampf gegen Rassismus und die Solidarität für Benachteiligte, ein Mittelschichtphänomen. Oder ein bürgerliches. Oder eben ein grünes.“

Das klingt wunderschön. Bloß hat Rauscher in seiner Geschichtsstunde etwas ausgelassen: Zwischen der Revolution 1848 und dem 21. Jahrhundert ist mit dem österreichischen Bürgertum einiges passiert. Ende des 19. Jahrhunderts war es mit dessen Freiheitsstreben weitgehend vorbei. Politisch bildeten sich zwei bürgerliche Lager: Das deutschnationale und das christlichsoziale – denen Antirassismus, Demokratiebegeisterung und aufklärerischer Geist nur schwerlich nachgesagt werden können.
Es war die Linke, die das allgemeine Wahlrecht erkämpfte und an der Wiege der Ersten Republik stand. Die politischen Parteien der österreichischen Bourgeoisie hingegen führten das Land in Diktaturen: zuerst in den Austrofaschismus und dann in den Nationalsozialismus. Und obwohl auch die Sozialdemokratie nicht frei von Judenfeindschaft war (siehe die Diskussion um Karl Renner): Der politische Antisemitismus war sowohl in seiner Entstehung als auch in seinem Wirken zutiefst bürgerlich. Er spielte erfolgreich mit den Ressentiments der damaligen Mittelschichten – mit den bekannten Folgen.

Auch nach 1945 zeigte sich das bürgerliche Lager nicht gerade als Hort der Aufklärung. Im Unterschied zu anderen europäischen Ländern hatte bei uns Liberalismus politisch nie auch nur die geringste Chance. Wenn mit dessen Geist ein Nachkriegspolitiker assoziiert wird, dann ist das Bruno Kreisky – ein Sozialdemokrat. Als es dann in den 1980er-Jahren darum ging, sich mit der totalitären Vergangenheit des Landes auseinanderzusetzen, leisteten die Parteien des bürgerlichen Lagers vehementen Widerstand. Das war die Zeit, als der Publizist Rauscher sich zu recht rühmen konnte, einer der ganz wenigen liberalen bürgerlichen Antifaschisten im Land zu sein. Aber muss er dieses durchaus achtenswerte Selbstbewusstsein gleich theoretisieren?

Gewiss: Der Aufstieg der Grünen hat mit einer positiven Entwicklung der österreichischen Mittelschichten zu tun. Am besten spiegelt sich diese am Wahlverhalten der Studenten wider. Die Zeit, als christlich-farbentragende und deutschnational-schlagende Verbindungen die Hochschülerschaften dominierten – beides Gruppierungen, die so gar nicht dem idealisierten Bild entsprechen, das Rauscher von der Bürgerlichkeit zeichnet –, ist längst vorbei. Sagen wir es locker: Die heimischen Mittelschichten, die in der Vergangenheit um so viel stärker für Reaktionäres und Ressentiment empfänglich waren als jene in anderen westeuropäischen Ländern, haben sich in den vergangenen Jahrzehnten in erfreulicher Weise moralisiert und zivilisiert.

Aber es ist auch kein Zufall, dass in der Bildungsgeschichte der heimischen Ökopartei linke Ideen – nicht zuletzt auch einige der 68er-Bewegung – eine konstitutive Rolle spielten. Das hat seine historische Stimmigkeit, gerade auch in Fragen der Solidarität und der Gerechtigkeit – Werte, die beim österreichischen Bürgertum noch nie hoch im Kurs standen. Die Tugenden des Citoyen, die Rauscher im Sinn hat, wenn er von Bürgerlichkeit spricht, haben sich in der österreichischen Realität traditionell eben nur schwach entwickelt, die Laster des Bourgeois aber umso stärker.

Und so ist es bei dieser komplizierten, verkorksten und oft dunklen Geschichte des österreichischen Bürgertums durchaus klug, wenn die aktive Politikerin Maria Vassilakou die Frage nach dem bürgerlichen Charakter der Grünen pragmatisch zurückweist.

Ihr und Rauscher sei aber gesagt: Gute Manieren und Zahnhygiene sind klassenunspezifisch.

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Georg Hoffmann-Ostenhof