Georg Hoffmann-Ostenhof

Georg Hoffmann-Ostenhof Iran vor dem Umsturz

Iran vor dem Umsturz

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Wie es aussieht, wird die Welt im Jahr 2010 einen Umsturz im Iran erleben. Der Iran befindet sich inmitten einer gewaltigen Revolution. Vieles deutet darauf hin, dass die Herrscher von Teheran – Präsident Mahmud Ahmadinejad und der religiöse Führer Ayatollah Khamenei, die mächtigen Revolutionsgarden, die Schlägermilizen und der konservative Teil des schiitischen Klerus – demnächst die Macht verlieren.

Noch glauben sie, mit immer brutalerer Unterdrückung die Situation unter Kontrolle bringen zu können. Bisher ist ihnen das nicht gelungen. Jede Verschärfung der Repression lässt den Mut der Protestierenden wachsen. Die Menschen, die immer wieder zu hunderttausenden auf die Straßen strömen, nehmen in Kauf, vor die Gewehrläufe von Scharfschützen zu laufen, sie sind sich bewusst, dass sie vielleicht gefoltert, vergewaltigt, verschleppt und eingesperrt werden. Wenn sie auf Videos oder von einer Überwachungskamera identifiziert werden, verlieren sie mit Sicherheit ihren Studienplatz oder ihren Job und gefährden ihre Familie. Sie wissen das. Und dennoch sind sie zunehmend bereit, ganz offen gegen die Tyrannei aufzutreten. In den großen Massendemos der letzten Dezembertage – so sieht man auf YouTube – verstecken viele nicht mehr ihr Gesicht hinter Tüchern.

Dennoch gehen auch immer mehr „verhüllte“ Menschen mit: Viele verschleierte Frauen kann man in den Demons­trationszügen entdecken. War es anfangs vor allem die urbane Mittelschichtjugend, die gegen Ahmadinejad und die gefälschte Wahl protestierte. So sind jetzt auch die Armen in Bewegung geraten, die Gläubigen und die Älteren. Eine veritable Volksbewegung ist unterwegs. Und es geht längst nicht mehr nur darum, wer im Teheraner Präsidentenpalast sitzt. Es geht ums Ganze.

Das Regime setzt aber nicht nur auf brutale Konfrontation mit den Demonstranten und auf massenhafte Verhaftungen. Ganz gezielt geht es auch gegen jene Politiker und Promis vor, welche die Bewegung unterstützen oder vermeintlich anführen. Das sind ehemalige Regierungschefs, Präsidenten, Minister, engste Khomeini-Berater, Ex-Parlamentspräsidenten, hohe Geistliche und Revolutionshelden von anno 1979. Einigen von ihnen wurde schon der Prozess gemacht, bei dem sie mit ihren, offenbar durch Folter erpressten Schaugeständnissen dem Publikum vorgeführt wurden. In den vergangenen Tagen beginnt man in verstärktem Maße, ihre Familienmitglieder einzusperren, zu schlagen und auch zu töten – wie den Neffen des Ahmadinejad-Rivalen und Initiator der grünen Bewegung Mir-Hussein Mussavi.

Auch mit dieser Taktik dürfte das Regime wenig Erfolg haben. Die Menschen lassen sich offenbar nicht einschüchtern. Selbst eine Verhaftung von Mussavi (und dem anderen Präsidentschaftskandidaten, dem Reformer Mehdi Karubi) würde die grüne Welle nicht stoppen. Die Bewegung hat inzwischen tiefe Wurzeln in der iranischen Gesellschaft geschlagen. Sie ist mittels Handy, Twitter und Facebook überaus dezentral organisiert. Die Vorstellung, die Bewegung wäre zu Ende, wenn man ihre Köpfe abschlägt, ist wohl eine Fehlkalkulation von Khamenei, Ahmadinejad und Co.
Was kommt aber im Iran, wenn diese gestürzt werden?

Der deutsch-iranische Schriftsteller und Orientalist Navid Kermani weist darauf hin, dass schon seit den neunziger Jahren in philosophisch-theologischen Seminaren und Zeitschriften darüber diskutiert wurde, Religion und Politik wieder auseinanderzudividieren und die Autorität des Staatsoberhaupts allein durch das Volk und nicht durch Gott zu legitimieren. Was in islamischen Intellektuellenzirkeln ­erwogen und von mutigen Geistlichen wie dem kürzlich ­verstorbenen Großayatollah Montazeri propagiert wurde, entspricht inzwischen aber der Erfahrung der iranischen Gesellschaft als Ganzer, die immer weniger bereit ist, sich von den Mullahs in allen Lebensbereichen gängeln und belästigen zu lassen.

Wahrscheinlich wird sich der Iran nach einem Umsturz weiter als islamischer Staat begreifen. Die von der Mehrheit der Iraner ersehnte und dann wohl erfolgende Trennung von Staat und Gott aber wird erkannt werden als Errungenschaft des eigenen Kampfs, als Reform des Islam, die „ein genuines Produkt der eigenen Kultur und der kollektiven Erfahrung der eigenen Gesellschaft“ darstellen würde, wie Kermani schreibt.

Das wiederum macht die Ereignisse im Iran so bedeutsam. Man darf nicht vergessen, dass die iranische Revolution 1979 die Geburtsstunde des Islamismus war – des real existierenden Gegenentwurfs zum westlich säkularisierten Politikmodell. Der Khomeinismus – trotz seines schiitischen Charakters – machte Schule in der gesamten islamischen Welt. Ab nun galt der politische Islam vielen als erstrebenswerte Alternative auch zu jenen Regimen, die den westlichen Säkularismus imitiert und importiert hatten und meist zu furchtbaren Diktaturen verkommen waren. Sollte nun im Ursprungsland des Islamismus aus eigenen Stücken die Theokratie zurückgenommen werden, dann hätte das noch ungeahnte Konsequenzen. Das könnte letztlich zum Ende des Islamismus führen, wie wir ihn in den vergangenen Jahren – in all seinen auch grauslichen Ausprägungen – gekannt haben. Und zum Ausgangspunkt für eine grundlegende Erneuerung des Islam insgesamt.

Natürlich sind andere Szenarien denkbar. Möglicherweise – aber nicht sehr wahrscheinlich – hält sich die Khamenei-Ahmadinejad-Clique doch noch länger durch totalen Terror am Ruder. Auch ist Chaos und Desintegration des Iran nach dem Fall des Regimes denkbar. Vieles freilich spricht dafür, dass 2010 ein Jahr wird, in dem sich die Welt mit den Iranern über eine große Wende freuen wird können.

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Georg Hoffmann-Ostenhof