Georg Hoffmann-Ostenhof

Georg Hoffmann-Ostenhof Lahme Enten

Lahme Enten

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Nostalgisch könnte man werden. Nicht so sehr nach der guten alten, sondern nach der guten jüngsten Zeit. Es ist noch keine zwei Jahre her. Da war zwar das allgemeine Lamento über die Krise der EU nicht leiser als heute. Aber in der allgemeinen Mediokrität des politischen Personals von Europa ragten zwei starke Persönlichkeiten heraus, die den gewaltigen Herausforderungen unserer Zeit gewachsen schienen: Angela Merkel und Nicolas Sarkozy.

So unterschiedlich die ruhige protestantische Pfarrerstochter aus dem Osten Deutschlands und der glamouröse französische Polit-Wirbelwind mit Migrationshintergrund auch sein mögen: Ihre anfangs kraftvolle und entschiedene Reaktion auf die internationale Finanzkrise machte sie international zu veritablen Polit-Stars und in ihren Ländern zu Trägern der Hoffnung, sie würden die EU sicher aus der Misere herausführen. Ihr Ruhm währte aber nur kurze Zeit. Sie sind abgestürzt, so tief, wie ihre Popularität zuvor hoch war. Heute würde niemand auch nur einen Cent auf ihre Zukunft setzen.

Faszinierend war Sarkozy zweifellos, als er, frisch gewählt, die politische Farbenlehre durcheinanderbrachte und Linke und Mitte-Liberale in seine Regierung aufnahm; als er Dutzende Ideen pro Tag produzierte, von denen zumindest die Hälfte durchaus brauchbar war; als er quer durch die Welt düste und Frankreich wieder als Global Player zu etablieren schien. Auch sein Stil fand Anklang. Nach all den entrückten Präsidentenfiguren mit Hang zu Pomp und Pathos erfrischte Sarko mit seinem unbekümmerten Parvenü-Hang zu Luxus, seiner demonstrativen Celebrity-Libido (Carla Bruni!) und seinem hemdsärmeligen Aktivismus. Bald wurden die Franzosen jedoch ihres Präsidenten müde. Was sie zunächst begeistert hatte, begann sie abzustoßen. Der Aktivismus erwies sich häufig als blindwütig. Und das hektische Getue des Staatsoberhaupts geht den Leuten inzwischen ebenso auf die Nerven wie seine permanente Seitenblicke-Präsenz.
Wirklich das Genick brechen dürfte Sarkozy aber die aktuelle Bettencourt-Affäre. Noch ist nicht alles auf dem Tisch. Aber einiges scheint klar zu sein: Die reichste Frau Frankreichs, Liliane Bettencourt, die greise Besitzerin des Kosmetik-Imperiums L’Oréal, hat (gemeinsam mit ihrem inzwischen verstorbenen Mann) massiv und unbehelligt jahrelang Steuern hinterzogen. Die Finanz drückte mehr als ein Auge zu. Im Gegenzug holten sich Politiker der konserva­tiven Partei UMP, darunter auch Sarkozy, bei Madame Bettencourt regelmäßig (illegale) Parteispenden ab. Die Inszenierung war immer die gleiche: Nach einem ausgiebigen Dinner im Palais der Kosmetik-­Lady im Pariser Nobelvorort Neuilly wurde ein gelbes Kuvert überreicht. Für den Sarkozy-Wahlkampf 2007 soll Eric Woerth, der Schatzmeister der Partei, der gleichzeitig Minister ist, ­einen Umschlag mit 150.000 Euro entgegengenommen haben. „Hetzkampagne“ und „Verleumdung“ tönt es aus der Regierung. So wie es aussieht, dürften die Informationen über diese Transaktionen verlässlich sein. Wie Sarkozy aus dieser Bredouille rauskommen soll, ist nicht abszusehen. Eine
zweite­ Amtszeit hat er sich mit großer Sicherheit vermasselt. Adieu ­Sarko.

Tschüss Angela, könnte man in Deutschland rufen. Zwar vollzieht sich der Abstieg der Bundeskanzlerin nicht so spektakulär wie jener des französischen Staatsoberhaupts. Und dass sich Frau Merkel bis zu den Wahlen 2013 noch erholt, kann nicht völlig ausgeschlossen werden. Dramatisch genug ist ihr Verlust an Autorität und Popularität jedoch allemal. Noch vor wenigen Monaten die weitaus Beliebteste unter den deutschen Politikern, ist sie im Ranking weit nach unten, hinter den sozialdemokratischen Oppositionsführer Sigmar Gabriel, gerutscht. Nicht nur das: Die von ihr geführte konservativ-liberale Regierung hat längst die Mehrheit im Land ­verloren. Was Angela Merkel einst zu einer hoch geschätzten Ausnahmeerscheinung der deutschen und europäischen Politik gemacht hat, ihr kühler Pragmatismus und ihr Mangel an ideologischen Leidenschaften, wird heute als Führungsschwäche und Ideenlosigkeit empfunden. Und dass sie sich in Geiselhaft ihres Juniorpartners, der schwer derangierten marktradikalen FDP des unsäglichen Guido Westerwelle, begeben und gemeinsam mit diesem den Deutschen ein sozial­sadistisch-unausgewogenes Sparprogramm verordnet hat, stößt auf allgemeine Entrüstung – nicht nur von links.

Dass zwei einst gefeierte europäische Politiker im Popularitätstief sind, wäre an sich nicht besonders aufregend. Ähnliches passiert immer wieder. Aber Merkel und Sarkozy regieren die zwei letztlich entscheidenden Länder Europas. Nun werden sie zusehends handlungsunfähig. Wie können sie, derart geschwächt, die Kraft aufbringen, eine gemeinsame Politik zu entwickeln? Was passiert mit der für die EU so zentralen deutsch-französischen Achse, wenn in Berlin und Paris nun für die nächsten paar Jahre lahme Enten an der Macht sind? Das ist – in dieser Umbruchzeit, in der wesentliche Zukunftsentscheidungen anstehen – überaus beunruhigend. Für ganz Europa.

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Georg Hoffmann-Ostenhof