Georg Hoffmann-Ostenhof

Georg Hoffmann-Ostenhof Mao und Stronach

Mao und Stronach

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An der Wiege dieser Partei standen zwei: ein Geheimdienstler und Mao Tse-tung. Ein Rohrleger namens Daan Monjé hatte sich 1964 gemeinsam mit einer Gruppe radikaler Arbeiter von der Moskau-treuen holländischen kommunistischen Partei abgespaltet. Er fuhr nach Peking, traf den legendären chinesischen KP- und Staatsführer, trat den Roten Garden der Kulturrevolution bei und brachte 400.000 niederländische Gulden nach Hause: Finanzen für den Parteiaufbau. Der wurde auch engagiert von Frits Hoekstra vor­angetrieben, einem Mann, den die niederländische Staatssicherheit in die Führung der Revoluzzer-Organisation eingeschleust hatte. Man wollte mit deren Stärkung die damals als Gefahr eingeschätzten Moskau-Kommunisten schwächen.

Was normalerweise bloß für Historiker mit dem Spezial­gebiet „linke Sekten“ von Interesse wäre, hat jäh eine erstaunliche Aktualität erlangt. Die damals gegründete Maoisten-Partei wird – so wie es aussieht – bei den Wahlen am 12. September einen fulminanten Wahlerfolg erzielen. Sie wird, wenn die Meinungsforscher Recht behalten, zur stärksten Kraft im niederländischen Parlament.

Gewiss: Sie werden nicht im „Volkskrieg“ siegen, wie die Partei zu Anfang versprach, sondern in demokratischen Wahlen. Der V-Mann in ihren Reihen wurde 1968 enttarnt. Die Plakate mit Marx, Lenin, Stalin, Mao sind längst verschwunden. Mit dem chinesischen Kommunismus haben die einstigen Maoisten seit den späten siebziger Jahren nichts mehr am Hut. Und damals hat die einstige Kommunistische Einheitsbewegung der Niederlande den Namen geändert: Sie heißt Socialistische Partij. Wenn sie demnächst möglicherweise den Regierungschef in Den Haag stellen sollte, dann wäre dieser keineswegs ein besonderer Radikalinski. Die holländischen Sozialisten sind heute in ihrer politischen Ausrichtung am ehesten mit der deutschen Linkspartei oder der griechischen Syriza zu vergleichen.

Die politische Entwicklung in den Niederlanden bleibt allemal spektakulär. Wie kommt es, dass solche Linkssozialisten nicht nur in maroden europäischen Südstaaten, sondern auch in einem der reichsten und demokratischsten Länder Europas ihre große Chance bekommen?
Zunächst: Für politische Überraschungen war die holländische Politik schon seit Längerem gut. Erstaunlich erschien bereits, dass der ausländerfeindliche Rechtspopulismus – zunächst des Pim Fortuyn und dann des Geert Wilders – gerade in diesem für seine Liberalität und Toleranz bekannten Land solch einen fulminanten Aufstieg erlebte.
Nach dem rechten Pendelschlag folgt nun der linke. Stellt sich bloß die Frage, ob es sich dabei um eine niederländische Spezialität handelt oder darin eine allgemeine Tendenz in Europa signalisiert wird.

Klar ist: Sollte demnächst eine Linkskoalition in Den Haag an die Macht kommen, verliert Angela Merkel einen ihrer wichtigsten europäischen Bündnispartner. Auf die von Geert Wilders lange Zeit unterstützte Regierung des liberalen Ministerpräsidenten Mark Rutte, der seinem Land einen rigorosen Sparkurs verordnete, konnte sich Merkel immer verlassen. Die Kritik der Sozialisten, dass Ruttes radikale Austerität die holländische Wirtschaft nicht wie versprochen saniert, sondern im Gegenteil direkt in die Rezession geführt hat, erscheint vielen im Land glaubhaft. Da haben die Sozialisten tatsächlich einen Punkt getroffen.

Die Niederlande demonstrieren jedenfalls, dass in dieser Krisenzeit selbst überaus entwickelte, solide und anscheinend stabile Länder vor turbulenten tektonischen Verschiebungen im Parteienspektrum nicht gefeit sind.
Schließlich aber ist interessant, auf wessen Kosten die Ex-Maoisten gewinnen werden. Als größter Verlierer dürfte Geert Wilders aus dem Wahlgang im September hervorgehen. So wie es aussieht, wird er von seinen bisher 24 Parlamentsmandaten zehn abgeben müssen. Offenbar zieht seine antiislamische Propaganda immer weniger. Und das dürfte tatsächlich keine holländische Besonderheit sein: Auch in anderen Ländern Europas lässt sich Ähnliches beobachten.

Nehmen wir Österreich. Es ist schon einige Zeit her, dass H. C. Strache mit Slogans wie „Pummerin statt Muezzin“ oder „Daham statt Islam“ die Leute aufganseln und gegen Minarette in die Schlacht führen konnte. Offenbar verspricht sich die FPÖ nicht mehr allzu viel von solcher Hetze. Jüngste Umfragen ergaben: Die Zahl der expliziten Gegner eines EU-Beitritts der Türkei schrumpft rapide. 2010 waren es fast zwei Drittel der Österreicher. Jetzt ist es nicht einmal mehr die Hälfte. Und dass Sebastian Kurz, der junge Integrationsstaatssekretär, der das Ausländerthema offensiv aus dem assoziativen Zusammenhang der Kriminalität und des Sozialschmarotzertums herausgeholt hat, heute der weitaus beliebteste Politiker des Landes ist, weist in die gleiche Richtung – eine Sensation.

So wie Geert Wilders sind auch die niederländischen ehemaligen Mao-Freunde Europa-bashende Populisten. Aber sie sind nicht ausländerfeindlich. In Österreich ist der austrokanadische, leicht derangierte Milliardär Frank Stronach gerade dabei, Heinz-Christian Strache das Wasser abzugraben – mit Anti-Euro-Furor, aber eben auch ohne wie immer geartete xenophobe Anwandlungen.

Doch, doch. Der Fortschritt wandelt zuweilen auf krummen Wegen.

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Georg Hoffmann-Ostenhof