Georg Hoffmann-Ostenhof

Georg Hoffmann-Ostenhof Phantome und Gespenster

Phantome und Gespenster

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Man sollte über eine mögliche Erhöhung von Vermögensteuern nachdenken. Auch die Wiedereinführung der Erbschaftssteuer sei zu überlegen. Also sprach Heinz Fischer. Gegenüber dem Staatsoberhaupt hat man eine gewisse Beißhemmung. Nur sanft wurde Fischer ob seines Vorstoßes in Richtung Umverteilung gerügt. Aber der Tenor war klar. Hans Rauscher brachte es in seinem Kommentartitel im „Standard“ auf den Punkt: „Phantomdiskussion über Ressentimentsteuer“.

Mit dem ersten Teil der Schlagzeile hat Rauscher ja Recht. Die Diskussion über den Beitrag, den die Reichen und Erben für die Gemeinschaft leisten sollen, läuft hierzulande gespenstisch redundant ab. Die ÖVP blockt ab. Neue Steuern kommen nicht infrage. Außerdem wären Vermögensteuern leistungsfeindlich. Da mögen Fachleute immer wieder klarmachen, dass Österreich zu den europäischen Ländern mit den niedrigsten Vermögensteuern gehört, deren Anhebung keine negativen wirtschaftlichen Konsequenzen hätte, und dass gratis erben quer zum Leistungsprinzip steht – es hilft nichts: Die Diskussion wird binnen Kürzestem abgewürgt. Das Argument, Vermögensteuern brächten ohnehin nicht viel, wird wider alle Fakten massiv verbreitet.

Und die Sozialdemokraten, die Angst haben, als streitbare Klassenkämpfer und Störenfriede der Regierungsharmonie dazustehen, knicken ein: Sie spielen „eines der letzten Atouts der ansonsten weitgehend ideenlosen Partei“ (Rauscher) nicht wirklich aus. Wieder werden Arbeitskreise zur Vermögensteuer eingerichtet. Und unter allen möglichen Steuervarianten wird eine favorisiert, welche die geringste Chance hat, tatsächlich eingeführt zu werden, weil das sinnvollerweise im internationalen Gleichklang passieren sollte: die Finanztransaktionssteuer.

Ja, in Österreich ist das alles eine Phantomdiskussion. Aber ist das Begehren nach Besteuerung von Vermögen tatsächlich nur vom Ressentiment gesteuert? Da mag Neid eine gewisse Rolle spielen. Aber die immer ungleicher werdende Verteilung des Reichtums ist nicht bloß in Österreich, sondern weltweit das Grundproblem unserer Zeit.

In den vergangenen Jahrzehnten der Globalisierung ist die Weltwirtschaft insgesamt stark gewachsen. Auch sind ganze Weltregionen der Elendszone entronnen. Aber gleichzeitig ist die Schere zwischen den Reichen und den Armen innerhalb der Länder immer stärker aufgegangen. Während die Einkommen aus Arbeit in den meisten Ländern stagnieren, explodieren jene aus Vermögen. Auch innerhalb der Population der unselbstständigen Beschäftigten wachsen die Gehälter der oberen zehn Prozent überproportional – die der obszön Millionen-Boni beziehenden Manager sind nur die Spitze dieser Entwicklung. In den unteren Lohnklassen tut sich aber nichts. Und die Besteuerung der Wohlhabenden zeigt fast überall eine Tendenz nach unten.

Da mag die Klage über die mangelnde Gerechtigkeit fade klingen. Aber die immer größer werdende Kluft zwischen den Reichen und den Normalbürgern ist nicht bloß ein moralisches Problem: Das Auseinanderdriften bedroht auch den sozialen Zusammenhalt der Gesellschaften und die Ökonomie als Ganzes. Das wissen Institutionen wie der Internationale Währungsfonds. Er weist darauf hin, dass es ja kein Zufall sei, dass die Ungleichheit in den USA am Vorabend der jüngsten Wirtschaftskrise wieder das Niveau erreichte, das sie vor der großen Depression der dreißiger Jahre hatte.

Die Entrüstung vieler darüber, dass jene Banker und Finanzjongleure, welche die Ökonomie in die tiefe Krise gestürzt haben, ungeschoren davonkommen, die Rechnung aber nun die einfachen Steuerzahler und Arbeitnehmer zahlen müssen, ist nicht bloß gefühlt. Inzwischen zeigen Umfragen, dass sogar in Deutschland über die Hälfte der Bevölkerung das „kapitalistische System“ als ungerecht empfindet. „Empört Euch“, lautet ein linkes französisches Pamphlet, das inzwischen millionenfach gekauft wurde. Profitiert von der Empörung hat bisher hauptsächlich die populistische Rechte. Aber das muss nicht immer so bleiben.

Es mehren sich die Anzeichen, dass die Wut der Menschen auch anders ihren Ausdruck finden kann. In Spanien und Griechenland geht die Jugend auf die Straße. Sie protestiert gegen die Ungerechtigkeit der verordneten Sparprogramme. Und siehe da: Trotz der so unterschiedlichen Bedingung gleichen die Demonstranten am Athener Syntagma- Platz und die Besetzer der Puerta del Sol in Madrid in ihrem Habitus und ihrer Art, sich zu organisieren, frappant den jungen Ägyptern am Tahrir-Platz, die den Diktator Mubarak stürzten. Auf den Tahrir-Platz nehmen die jungen Griechen und Spanier auch explizit Bezug.

Es sieht ganz so aus, als ob der Geist der Revolte von Nordafrika das Mittelmeer überquert und den Süden Europas erfasst hat. Wird er weiter in den Norden vorstoßen? Trifft die Beobachtung des italienischen Philosophen Sergio Benvenuto zu, wonach „in bestimmten historischen Zeitspannen der Nachahmungstrieb funktioniert“? Einiges deutet darauf hin, dass wir uns in solch einer Phase befinden. Stimmt das, dann handelte es sich bei der Frage der Vermögensverteilung nicht um etwas blass Phantomhaftes, wie Hans Rauscher meint. Die Revolte gegen die Ungerechtigkeit wäre ein – in Europa umgehendes – ganz reales Gespenst.

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Georg Hoffmann-Ostenhof