Georg Hoffmann-Ostenhof

Georg Hoffmann-Ostenhof Poesie und Weltfrieden

Poesie und Weltfrieden

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Die Zeit ist stecken geblieben. Ein Tag wiederholt sich immer wieder. Das widerfährt Bill Murray, einem Wetterjournalisten, im legendären Film „Und täglich grüßt das Murmeltier“. Murray baggert seine von Andie MacDowell gespielte Assistentin an. Da er nach ein paar immer identisch ablaufenden Tagen und Gesprächen weiß, wie sie tickt und was sie mag, versichert er der entzückenden und leicht verhuschten Pazifistin dann, dass er französische Lyrik liebe. Sie ist begeistert. Auf die Frage, was er sich dringlich wünsche, antwortet er: „Den Weltfrieden.“ Er bekommt sie schließlich ins Bett. Das Publikum lacht über die abgeschmackte Begrifflichkeit, mit welcher der Protagonist des Murmeltier-Streifens die junge Frau erfolgreich umwirbt. „Weltfrieden

Das Wort steht auch im Zentrum des nun zum politischen Skandal gewordenen Gedichts von Günter Grass. „Die Atommacht Israel gefährdet den ohnehin brüchigen Weltfrieden“, schreibt der 84-jährige Nobelpreisträger. „Weltfrieden“ ist der – einst vom organisierten Pazifismus strapazierte – Gegenbegriff zu „Weltkrieg“ und trägt von vornher­ein die Falschheit jeder Kitschfloskel in sich (siehe auch Story ab Seite 22 und Lingens-Kolumne Seite 120). Bei aller berechtigten Sorge um drohende Waffengänge, die Angst vor einem bevorstehenden Weltkrieg kommt in diesen Tagen wohl kaum ernsthaft auf. Wie konnte sich der gefeierte Schriftsteller zu solch einer lächerlichen sprachlichen Verirrung hinreißen lassen?

Nicht mehr bloß ein stilistischer Ausrutscher ist Grass passiert, wenn er schreibt, ein Erstschlag Israels könnte das „iranische Volk auslöschen“. Selbst schärfste Kritiker der israelischen Regierung glauben nicht, dass ein Angriff auf den Iran die „Auslöschung“ des iranischen Volks zur Folge oder zum Ziel haben könnte. Man kann mit dem Frankfurter Politologen Micha Brumlik diese Formulierung als „projektive Fehlverarbeitung des nationalsozialistischen Judenmords“ interpretieren und auf die Waffen-SS-Jugend des Schriftstellers verweisen. Gleichzeitig muss man die Auslassungen von Grass aber auch im aktuellen emotional aufgeheizten Kontext sehen, in dem behauptet wird, die Iraner wollten „die völlige Zerstörung und Vernichtung des jüdischen Volks“ und würden darangehen, diese Absicht in die Tat umzusetzen, wenn sie einmal die Bombe hätten.
Immer und immer wieder wird eine Äußerung des iranischen Präsidenten Mahmoud Ahmadinejad aus dem Jahr 2005 angeführt: „Israel must be wiped off the map“, eine Phrase, die dann von den großen Nachrichtenagenturen in den verschiedensten Versionen verbreitet wurde: Israel von der Landkarte radieren (AFP), Israel von der Landkarte tilgen (AP, Reuters), Israel ausrotten (dpa). Bloß, so hat es Ahmadinejad nie gesagt. Es wurde längst von seriösen Medien wie der „Süddeutschen Zeitung“ und dem britischen „Guardian“ die richtige Übersetzung des Ahmadinejad-­Sagers nachgeliefert: „Dieses Besatzungsregime muss von den Seiten der Geschichte verschwinden“ – und nicht von der Landkarte.

Dass Teheran seit der Khomeini-Revolution 1979 die Legitimität des israelischen Staats nicht akzeptiert, ist bekannt. Der Satz des iranischen Präsidenten war also nichts Neues. Und das gewünschte „Verschwinden“ des Zionismus wurde in dessen Rede verglichen mit dem Untergang der Sowjetunion und dem Sturz des Schah-Regimes. Aus dieser ­Ansprache die genozidalen Absichten Teherans gegenüber den Israelis herauszulesen fällt schwer. Es bleibt natürlich, dass die immer wiederholten Tiraden Ahmadinejads gegen Israel dumm, unverschämt und antisemitisch sind – gewiss auch beunruhigend. Aber das allgemeine und hartnäckige Festhalten an der falschen Übersetzung zeigt, dass diese propagandistisch von hohem Wert ist. Sie ist wertvoll in der ganz gezielten Strategie der israelischen Regierung, den Iran mit seinen Nuklearambitionen als den großen Aggressor hochzustilisieren, als den Feind der Menschheit, der den „Weltfrieden“ gefährdet. Und auch die USA und Westeuropa haben offenbar ein Interesse an der Konstruktion eines Erzfeinds. Und so schreitet die Dämonisierung des Iran munter voran. Ein als Präventivschlag deklarierter Angriff wird vorbereitet.

Das hohle Pathos und die maßlose Übertreibung der jüngsten Grass-Poesie haben ihr Spiegelbild in der grotesken Überzeichnung der „iranischen Gefahr“ durch den Westen. So wie es evident erscheint, dass eine Militäraktion Israels gegen den Iran – wie gefährlich auch immer die Konsequenzen wären –, keinesfalls „auslöschende“ Dimensionen annehmen würde, so ist auch klar: Die Herren in Teheran haben, selbst wenn sie die Bombe bauten – was sie immer abstreiten –, nicht die ernsthafte Absicht, die Atommacht Israel anzugreifen. Sie mögen in vielem durchgeknallt sein, Suizid steht sicherlich nicht auf ihrer politischen Agenda.

Da mag der Grass-Gestus des Ich-kann-nicht-schweigen unerträglich sein, sein Stil erbärmlich und seine weltpolitischen Kenntnisse eher bescheiden: Die anhaltend gewaltige Aufregung über sein Gedicht lässt aber erahnen, dass er mit diesem doch nicht völlig danebengetroffen hat.

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Georg Hoffmann-Ostenhof