Georg Hoffmann-Ostenhof: Rettet die Konservativen!

Über die Krise der Mitte-Rechts-Parteien, Donald Trump, Boris Johnson und das Angelsächsische an Sebastian Kurz.

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Der Mittwoch der vergangenen Woche hatte es in sich. In London trat der von den Tory-Mitgliedern gewählte Boris Johnson vor die Tür von 10 Downing Street und machte klar: Er werde Großbritannien auf Biegen und Brechen bis Halloween aus der EU hinausführen. Der frischgebackene Premier bildete eine neue Regierung aus deklarierten Europahassern. Der „Guardian“ titelt: „Cabinet massacre“. Die Weichen sind auf einen harten Brexit, auf einen Austritt ohne Abkommen gestellt.

Zur gleichen Zeit in Washington: Sonderermittler Robert Mueller stellt sich den Kongressabgeordneten und bestätigt das, was er in seinem Report geschrieben hat, nun auch mündlich: Russland hat alles getan, Donald Trump ins Weiße Haus zu hieven. Dieser versuchte dauernd, Muellers Ermittlungen zu sabotieren und die Justiz zu behindern – ein Delikt, für das Trump nur deswegen nicht angeklagt wird, weil ihm als amtierender Präsident kein Prozess gemacht werden kann. Die Republikaner bleiben aber dabei: Der Präsident ist Opfer einer Hexenjagd.

Beide Ereignisse werfen ein grelles Licht auf das, was seit einiger Zeit die britische und amerikanische Publizistik umtreibt: Die Krise des Konservativismus, die jüngst auch der „Economist“ auf seinem Cover konstatierte – und die herrsche nicht nur im angelsächsischen Raum, sondern global, analysiert das britische Magazin. Sie habe diesseits und jenseits des Atlantiks nur verschiedene Ausprägungen.

In Ländern mit Zweiparteien-Systemen wie USA und Großbritannien seien die konservativen Parteien – hier Republikaner, da Torys – zwar an der Macht, konservativ aber nur mehr dem Namen nach. Sie hätten, als die Rechtspopulisten und Nationalisten à la Trump und Johnson die jeweiligen Parteien im Sturm – quasi von innen heraus – eroberten, alle Werte und zivilisatorischen Standards, für die sie bisher standen, über Bord geworfen. In Europa mit seiner Parteienvielfalt werden die Parteien des bürgerlichen Zentrums hingegen gemeinhin nicht von der extremen Rechten übernommen. Hier erodieren sie oder verschwinden sogar ganz. Ein paar Beispiele:

Die Unionsparteien in Deutschland schwächeln bedrohlich. Die spanischen Konservativen sind abgestürzt. Die Gaullisten, die jahrzehntelang die französische Politik bestimmten, haben nun – unter dem Namen Republikaner – nur mehr marginale Bedeutung. Und in Italien ist die Christdemokratische Partei bereits vor langer Zeit untergegangen.

In diesem europäischen Polit-Panorama ist Österreich ein Sonderfall. Die ÖVP kränkelt keineswegs wie ihre Schwesternparteien in der EU – ganz im Gegenteil. Das türkise Manöver des Sebastian Kurz – sich zum charismatischen, alles beherrschenden Parteiführer aufzuschwingen und mit der die ÖVP bedrängenden nationalistischen FPÖ-Rechten eine Koalition einzugehen – war erfolgreich. Bisher zumindest. Die lange Jahre siechende ÖVP erlebte jäh einen spektakulären Aufschwung.

War Kurz nicht gerade deshalb siegreich, weil er der FPÖ bei deren eigenen Themen Konkurrenz machte?

Aber zu welchen Kosten? Hat da nicht der rechtspopulistische Flügel der Partei die Macht übernommen? War Kurz nicht gerade deshalb siegreich, weil er der FPÖ bei deren eigenen Themen Konkurrenz machte? Und hat Türkis dabei nicht wesentliche Grundsätze und Traditionen entsorgt, von denen ihre Politik bis dahin geleitet wurde?

Es sieht ganz so aus, als ob die Kurz-ÖVP derzeit eher im fatalen angelsächsischen und weniger im kontinental-europäischen Modus agiert – also, was das Machtkalkül betrifft, eher mit Trump und Johnson als mit Angela Merkel verwandt ist.

In der amerikanischen und britischen Diskussion wird immer wieder betont, dass der neue Nationalpopulismus, dessen Aufschwung wir derzeit weltweit erleben, keineswegs bloß eine rechte Spielart des Konservativismus ist, oder sich aus diesem entwickelt hat. Ganz im Gegenteil: Diese radikale Rechte will offensiv all das zerstören, was politische Grundlage der konservativen Mitteparteien in den vergangenen Jahrzehnten war.

Die Konservativen spielten eine zentrale Rolle in der europäischen Erfolgsgeschichte nach 1945

Was immer man nun über diese denken mag – die Konservativen spielten eine zentrale Rolle in der europäischen Erfolgsgeschichte nach 1945. Der vom „Economist“ so genannte „aufgeklärte Konservativismus“ (der in Europa nicht ganz so aufgeklärt war) vertrat in der Neuen Welt das, was Amerika groß gemacht hat. Auch dort zeigte er sich zwar dem Fortschritt gegenüber abgeneigt und bremste diesen immer wieder, fand sich aber letztlich pragmatisch mit ihm ab und managte ihn. Vor allem trug das Bewahrende, das er in seinen Genen hat, wesentlich zur Stabilität der Entwicklung bei.

Zitieren wir nun eine pointiert linke Publikation, das britische Magazin „New Statesman“: „In ihren besten Momenten waren die konservativen Parteien durch die Geschichte hindurch ein Bollwerk gegen Nationalisten, Demagogen und Populisten. Sie haben geholfen, wertvolle Institutionen zu verteidigen und den Respekt vor Verfassungsnormen hochzuhalten.“

Linke Schadenfreude über die rechte Misere ist nicht angebracht

All das sei nun „durch den mutwilligen Vandalismus der Herren Trump und Johnson sowie deren Weggefährten und Sykophanten“ zu Hause und auf der ganzen Welt bedroht.

Linke Schadenfreude über die rechte Misere ist nicht angebracht. Wo nötig, müssen die Konservativen sogar vor sich selbst gerettet werden.

Georg Hoffmann-Ostenhof