Georg Hoffmann-Ostenhof: Rettet die Globalisierung!

Mauern, Grenzen, Stacheldraht: Nationalismus und Protektionismus drohen einer gloriosen Ära der Offenheit ein schreckliches Ende zu bereiten.

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Die austro-amerikanischen Parallelen sind frappant: Da rittern in Österreich sechs Personen um den Einzug in die Hofburg. Und bei allen Differenzen, die sie haben mögen – in einem Punkt sind sie sich einig: TTIP darf nie und nimmer unterschrieben werden. Das Freihandelsabkommen zwischen den USA und Europa, das die weitere Liberalisierung der wirtschaftlichen Beziehungen zwischen der alten und der neuen Welt zum Ziel hat, sei von Übel, meinen Griss, Hofer, Hundstorfer, Khol, Lugner. Und Van der Bellen, der noch vor Kurzem Sympathien für TTIP geäußert hat, macht einen Rückzieher. Er entschuldigt sich für die frühere Fehleinschätzung.

Szenenwechsel. USA: Drei Männer und eine Frau haben eine reelle Chance auf das höchste Amt im Staate. Keiner der vier Anwärter auf das Präsidentenamt will etwas von TPP (Trans Pacific Partnership) wissen. Und offenbar ist das Schimpfen auf dieses mit dem TTIP vergleichbare Projekt eines Handelsvertrages mit mehreren asiatischen Staaten höchst populär. Vor nicht allzu langer Zeit hat Hillary Clinton die von der Obama-Regierung auf den Weg gebrachten Verhandlungen noch mitgetragen. Jetzt distanziert sie sich davon. Bei näherer Betrachtung könne sie TPP nun nicht mehr unterstützen, versichert sie.

Natürlich kann man gegen diese Handelsabkommen sein. Sie enthalten so manches Detail, das zu Sorge Anlass gibt. Aber der Gleichklang der Antipathie in den USA und Europa – nicht nur in Österreich, auch in den meisten anderen EU-Ländern finden sich immer weniger Freunde des transatlantischen Projektes – weist darauf hin, dass es um mehr geht als nur um Einzelheiten. Die Ablehnung zielt aufs Ganze. Und dieses Ganze heißt Freihandel.

Für diesen hat man sich hierzulande ohnehin nie wirklich erwärmen können. Dazu fehlen die liberalen Traditionen. In Amerika aber sind Freihandel und Globalisierung geradezu genetisch verankert. Besonders für die US-Republikaner galt bislang Wirtschaftsliberalismus als Herzstück ihrer politischen Identität. Wenn jetzt Donald Trump und Ted Cruz darum streiten, wer von ihnen die Konkurrenz aus dem Ausland radikaler abwehren kann, wer also protektionistischer agiert, dann wird klar: Wir haben es mit einer historischen Wende der amerikanischen Politik zu tun.

Noch eine transatlantische Parallele fällt auf: Was für Trump und Cruz die Mauer an der mexikanischen Grenze gegen die Einwanderer aus Lateinamerika, ist für die Europäer der Stacheldrahtzaun, der nun überall in Europa gegen die „Asylantenflut“ errichtet wird und so das Schengen-System der offenen Grenzen untergräbt. Der wüste Nationalismus der beiden US-Republikaner, der an der Wählerbasis so unerwartet begeisterten Widerhall erfährt – ein Nationalismus, den man in dieser Ausprägung in den Vereinigten Staaten kaum kannte –, findet seine europäische Entsprechung im anscheinend unaufhaltsamen Aufschwung der radikalen Rechten.

Und Donald Trump, Viktor Orbán, Jarosław Kaczyński, Wladimir Putin und Recep Tayyip Erdoğan repräsentieren den gleichen Politikertypus – den nationalistischen, autoritären Antidemokraten. Um es auf Wienerisch zu sagen: ein Bund Hadern.

Re-Nationalisierung ist allgemein angesagt. Wenn man heute ernsthaft fürchten muss, dass sich demnächst eine Mehrheit der Briten für einen Austritt aus der EU ausspricht, dann zeigt das nur, wie ernst die Lage ist.

Die Globalisierung muss weitergehen. Ihre Konsequenzen müssen aber gemanagt, die Verlierer des Fortschritts kompensiert werden.

Alles zerbröckelt, Fragmentierung überall. Und schon werden Grabreden auf die EU gehalten und das Ende der Globalisierung verkündet. Dabei haben sich die zunehmende Integration der Weltwirtschaft, deren Liberalisierung und der sukzessive Abbau nationaler Schranken – all das, was wir in der Epoche seit 1945 erlebten – als durchaus segensreich erwiesen: In diesen Jahrzehnten ist der Lebensstandard weltweit dramatisch gewachsen. Die armen Weltregionen haben aufgeholt. Der Kampf gegen Hunger und Analphabetismus war in einem zuvor unvorstellbaren Maß erfolgreich. Die Menschen leben heute unvergleichlich gesünder und länger, die Frauenemanzipation hat einen Siegeszug ohne gleichen hinter sich.

Ist diese gloriose Ära nun zu Ende? Werden ihre Errungenschaften nun abgewickelt? Und was ist schiefgelaufen, dass nun breite Massen gegen die Globalisierung revoltieren?

Bei allem Positiven, das die vergangenen 70 Jahre insgesamt gebracht haben – der Fortschritt hat nicht nur Gewinner, sondern auch Verlierer produziert. Und die haben immer mehr den Eindruck, dass vor allem die Superreichen und die Multis Hauptprofiteure sind. Die Enthüllungen der Panama Papers scheint dies nur zu bestätigen. Und in der Tat: Um diejenigen, die im Verlaufe der Globalisierung aus der Kurve geflogen sind – und das sind nicht wenige, in einigen Ländern der entwickelten Welt sogar große Teile der Mittelschichten –, hat sich die Politik nicht wirklich gekümmert. Die hat man weitgehend allein gelassen.

Jetzt den historischen Rückwärtsgang einzuschalten, wäre freilich das absolut Falsche. Das letzte Mal, als man dies tat, Anfang des vergangenen Jahrhunderts, waren die Folgen desaströs: der Nationalismus gewann die Oberhand, zwei globale Kriege, Weltwirtschaftskrise und Faschismus folgten.

Nein, die Welt muss offen bleiben. Die Globalisierung muss weitergehen. Ihre Konsequenzen müssen aber gemanagt, die Verlierer des Fortschritts kompensiert werden. Da gilt es für die Politik, fundamental umzusteuern. Hoffentlich ist es dafür noch nicht zu spät.

Georg Hoffmann-Ostenhof