Georg Hoffmann-Ostenhof

Georg Hoffmann-Ostenhof Sag’s doch dem Inder

Sag’s doch dem Inder

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Islamabad ist schuld. Darüber scheinen sich alle einig: Der Krieg am Hindukusch wäre schon längst beendet, würde Pakistan den Taliban nicht Unterschlupf, Schutz und Unterstützung geben. Und es stimmt ja: Alleingelassen, hätten die islamistischen Extremisten nie den NATO-Truppen so lange trotzen können. Die westliche Streitmacht hätte die Taliban in Afghanistan längst niedergerungen. Aber ist die Schuldzuweisung an Islamabad wirklich gerecht?

Gewiss. Die Taliban waren von ihren Anfängen in den neunziger Jahren an eine Kreatur des pakistanischen Geheimdiensts ISI. Als sie dann die Macht in Kabul ergriffen, erkannte Islamabad das Terrorregime an. Nachdem US-Truppen infolge des 11. September 2001 die Taliban verjagt und George W. Bush den weltweiten „Krieg gegen den Terror“ ausgerufen hatte, reihte sich Pakistan offiziell ein in die westliche Front gegen den islamistischen Extremismus. Die pakistanische Armee lukrierte Milliarden von US-Dollars für ihren Kampf gegen die Terroristen. An ihrer Zusammenarbeit mit den Taliban aber hielt sie fest, wie intensiv Washington auch die Politiker in Islamabad bearbeitete.

Gegen die „bösen“ Taliban, die inzwischen Pakistan selbst mit ihren Anschlägen destabilisieren, wird in jüngster Zeit zwar militärisch vorgegangen. Die „guten“ Taliban aber, die in Afghanistan operieren, können sich im Grenzgebiet weiter unbehindert bewegen. Von dort aus führen sie den Krieg gegen die westlichen Armeen. Bisher erstaunlich erfolgreich. Warum aber helfen die Pakistani nach wie vor so hartnäckig den Steinzeit-Islamisten? Warum vermag der große Verbündete, die Supermacht Amerika, nicht und nicht, Islamabad auf Linie zu bringen?

Die spinnen, die Pakistani, wird analysiert, sie leiden unter einer akuten Indien-Paranoia. In der Tat: Ein mit Delhi befreundetes Regime in Kabul ist die Horrorvorstellung der pakistanischen Strategen. Die Angst, sollte es einen Krieg mit Indien geben, militärisch in die Zange genommen zu werden, ist groß. Behält man Einfluss in Afghanistan, könnte aber im Falle eines indischen Angriffs dieses Territorium als „strategische Tiefe“ dienen, in die man sich zurückzieht, um von dort aus eine Gegenattacke zu starten. Aus dieser Sicht wäre sogar ein von Bürgerkrieg zerrüttetes Afghanistan einer stabilen Situation vorzuziehen, in der eine proindische Regierung in Kabul am Ruder wäre.

Aber wie pathologisch ist diese Indien-Obsession Islamabads? „Auch Paranoiker werden zuweilen verfolgt“, witzelt ein westeuropäischer
UN-Diplomat in New York in einem Hintergrundgespräch mit profil. „Prekärer kann die geopolitische Lage Pakistans nicht sein“, gibt der Mann, der jahrelang als Botschafter in Islamabad residierte, zu bedenken. Man müsse Verständnis für Pakistan haben. Und er verweist auf die gewaltigen strategischen Unsicherheiten, in denen das Land lebt.

Immerhin blickt Pakistan seit seiner Gründung 1947 auf drei Kriege mit Indien zurück. Nur ein Sechstel seiner Grenzen sind anerkannt. Der Territorialkonflikt um Kaschmir wurde bis heute nicht beigelegt – an der Grenze stehen Hunderttausende indische Soldaten. Und Kabul weigert sich seit 120 Jahren, bis zum heutigen Tag, die so genannte Durand-Linie, welche die beiden Staaten trennt, zu akzeptieren.

Man hat Sorge, dass eine indische Armee bei einem Angriff durch das schmale Land bis Afghanistan durchmarschieren könnte und so Pakistan in zwei Hälften getrennt würde. Und solche Befürchtungen sind nicht absurd. Vor vierzig Jahren wurde in ­einem Krieg mit Indien Ostpakistan abgetrennt, das sich dann 1971 als Bangladesch für unabhängig erklären sollte.

Schließlich hängt Pakistans Wirtschaft völlig von jenem Wasser ab, das der Indus ins Land führt. Der entspringt aber in Indien. Und bei jedem indischen Wasserkraftprojekt geht, wie auch jetzt gerade, in Islamabad die Angst um, Delhi könnte als Druckmittel einmal den Wasserhahn zudrehen.
Bedenkt man all das, ist es also nicht erstaunlich, dass ein großer Teil des Staatsbudgets Islamabads in die Armee fließt und dass diese eine derartig dominante Rolle im Land spielt. So wird auch verständlich, dass Pakistan im Rahmen der Erzfeindschaft mit Indien nicht gewillt ist, die Taliban endgültig fallen zu lassen.

Wir müssen erkennen, dass hinter der pakistanischen Politik nicht bloß pathologische Obsessionen, sondern ganz reale Sicherheitsinteressen stehen“, mahnt der westeuropäische Pakistan-Kenner bei den UN. „Das wird bisher viel zu wenig berücksichtigt.“ Spätestens seit der Kabul-Konferenz der vergangenen Woche sprechen die Westmächte – auch die USA – klar aus, was man schon seit einiger Zeit weiß: Der Afghanistan-Krieg ist militärisch nicht zu gewinnen. Verhandlungen sind angesagt – mit den Taliban, aber auch mit den Nachbarn in der Region. Ohne die wird es garantiert keinen Frieden und keine Stabilität in ­Afghanistan geben.

Hauptaufgabe der Diplomatie, die sich da jetzt in verstärktem Maße entfalten wird, muss es sein, in das so konfliktreiche Dreieck Kabul–Islamabad–Delhi Entspannung zu bringen. Ein erster wichtiger Schritt wäre getan, wenn Afghanistan endlich die Grenze zu Pakistan anerkennen würde. Und eine Beilegung des jahrzehntealten Streits um Kaschmir würde die Situation in dieser Weltgegend grundlegend zum Besseren verändern.

Da ist vor allem Indien gefordert. „Indien ist ein regionaler Gigant auf dem Weg zu einem globalen Player. Pakistan aber ein kleiner, bitterarmer, überaus instabiler Staat“, meint der New Yorker Gesprächspartner. „Die internationale Gemeinschaft muss Druck auf Indien ausüben. Das kann es sich leisten, großzügig zu sein.“

Der Schlüssel für die Zukunft Afghanistans liegt also letztlich in Delhi.

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Georg Hoffmann-Ostenhof