Georg Hoffmann-Ostenhof: Selbstkritik, bitte!

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Spätestens in diesen Tagen ist es mit der Schwärmerei für die „Bolivarische Revolution“ des Hugo Chávez und für dessen „Sozialismus des 21. Jahrhunderts“ endgültig vorbei. Jetzt, da sichtbar wird, dass diese Revolution letztlich Venezuela direkt in den Abgrund führt, der Chávismus in seinem Endstadium bloß Hunger, Diktatur und Unterdrückung bedeutet und in einen blutigen Bürgerkrieg zu mündet droht, findet sich in unseren Breiten kaum mehr einer, der die Aktionen der Regierenden in Caracas verteidigt.

Die Sympathie, die Progressive für Chávez, den ehemaligen Putschoffizier, hegten, war in dessen ersten Präsidentenjahren durchaus verständlich. Die vor seiner Machtübernahme im Land herrschenden Eliten waren tatsächlich besonders schamlose und verkommene Ausbeuter. Und die offensichtliche Liebe des Volkes zu ihrem Helden – er wurde von 1999 bis zu seinem Tod 2013 vier Mal mit großer Mehrheit ins Präsidentenamt gewählt – hatte ihren guten Grund: Immerhin gelang es Chávez, zwischen 2002 und 2011 den Anteil der wirklich Armen an der venezolanischen Bevölkerung von 49 auf 29 Prozent zu reduzieren, ein Gesundheitswesen aufzubauen und breit zu alphabetisieren. Das war schon beeindruckend.

Aber dass fortschrittliche Kreise im Westen bis vor Kurzem den „Sozialismus“ bolivarischer Prägung geradezu als inspirierendes Modell linker Politik propagierten, ist schon erstaunlich. Es hat sich doch früh abgezeichnet, dass da der Wurm drinsteckt. Haben so Prominente wie der US-Starintellektuelle Noam Chomsky, der Chef der britischen Labour Party Jeremy Corbyn, der französische Linkssozialist und Präsidentschaftskandidat Jean-Luc Mélenchon – um nur einige zu nennen –, haben die Aktivisten des Weltsozialforums, die den venezolanischen Sozialismus immerzu hochleben ließen, das nicht begriffen?

Natürlich spielt der gesunkene Ölpreis – im Land mit den größten nachgewiesenen Erdölreserven – eine wesentliche Rolle beim Sturzflug Venezuelas. Die Implosion der Wirtschaft, der sich verbreitende Hunger, die tödliche Krise des Gesundheitswesens, die leeren Geschäfte, Hyperinflation und der totale Zusammenbruch der öffentlichen Sicherheit – all das ist aber weder nur auf die niedrigen Energiepreise, noch bloß auf die von Caracas behaupteten Umtriebe des „amerikanischen Imperialismus“ zurückzuführen. Auch ist die oft gehörte Argumentation, dass erst Nicolás Maduro, der Nachfolger von Hugo Chávez, das Land hinuntergewirtschaftet hat, unhaltbar.

Es hat sich doch früh abgezeichnet, dass im Chávismus der Wurm drin steckt.

Der Chavismus fand die besten Voraussetzungen vor. Er war 17 Jahre hindurch ununterbrochen an der Macht und hatte Zugriff auf enormen Reichtum. Von Anfang an aber herrschte da ein eklatantes Missmanagement. Was zunächst sinnvolle Investition im Kampf gegen die Armut war, verkam sehr bald zu extravaganter und kontraproduktiver Subvention, zum faktischen Kauf der Wähler. Schließlich begann das Ölgeld, eine Korruption ungeahnten Ausmaßes zu nähren. Funktionäre des Regimes und Offiziere der Armee stopften sich die Säcke voll. Es wird geschätzt, dass im vergangenen Jahrzehnt über 300 Milliarden Dollar verschwanden und auf Bankkonten in Andorra, der Schweiz und den USA landeten. In die Modernisierung der Ölindustrie wurde nichts investiert. So verrotteten die Anlagen und mit ihr die gesamte venezolanische Wirtschaft.

Interventionen der USA hielten sich in Grenzen. Nach einem missglückten Putschversuch im April 2002, bei dem sie tatsächlich die Hand im Spiel hatten, scheinen die Amerikaner in den vergangenen Jahren eher wenig interessiert an dem lateinamerikanischen Land gewesen zu sein. Und so „antiimperialistisch“ agiert Caracas auch wiederum nicht. Immerhin sind die USA bis heute Hauptabnehmer des venezolanischen Erdöls.

Als Chávez im März 2013 seinem Krebsleiden erlag, waren hymnische Nachrufe Legion. „Ich trauere nicht“, sagte hingegen damals in einem Interview mit profil der grünlinke Politiker Daniel Cohn-Bendit. Und er bezeichnete die Herrschaft von Chávez als „moderne Form der Autokratie, eine Mischung aus Caudillo und Silvio Berlusconi“. Cohn-Bendit analysierte: „Chávez konnte freie Wahlen oder Ansätze einer demokratischen Öffentlichkeit zulassen. Er konnte sich das mit seinem Charisma leisten.“ Ohne den charismatischen Anführer würde sich aber der Chávismus nur an der Macht halten, wenn er immer autoritärer wird.

Und da sind wir nun: Maduro will die Abhaltung der demnächst anstehenden Präsidentenwahlen mit allen möglichen Manövern verhindern. Er weiß, dass die Mehrheit der Bevölkerung gegen ihn ist. Und er lässt auf die Menschen schießen, die für freie Wahlen auf die Straße gehen. Und diesmal sind es nicht, wie noch Anfang des Jahrhunderts, nur die wohlhabenden und frustrierten Mittelschichten: Selbst auf den Hügeln rund um Caracas, dort wo die Armen, die eigentliche Basis des Regimes, wohnen, wird bereits demonstriert. Und die Opposition ist längst nicht mehr auf die politische Rechte, auf die Kräfte der alten Eliten beschränkt. Antichávistische Linke – nicht zuletzt auch enttäuschte ehemalige Freunde und Weggenossen von Hugo Chávez – sind mit von der Partie.

Wie die bolivarische Revolution ihr Ende findet, ist noch nicht abzusehen. Dass sie erbärmlich gescheitert ist, steht aber jetzt schon fest. Für die einstigen Fellow Traveller des Chávez-Sozialismus, für dessen Polit-Groupies wäre es aber höchst an der Zeit, ein wenig Selbstkritik zu üben.

Georg Hoffmann-Ostenhof