Georg Hoffmann-Ostenhof

Georg Hoffmann-Ostenhof Und jetzt die Schwulen …

Und jetzt die Schwulen …

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Es gibt ein sich hartnäckig haltendes europäisches Vorurteil, wonach die Amerikaner ein geschichtsloses Volk seien, was auch deren angebliche Naivität erkläre. Dass die amerikanische Nation vergleichbar jung ist, stimmt zwar. Die leicht verächtliche Behauptung aber, dass in der Neuen Welt jenes historische Bewusstsein fehle, das Europa in hohem Ausmaß besäße, hält einer genauen Überprüfung nicht stand. Das zeigte sich überdeutlich in der vergangenen Woche.

Wer sich sowohl die Inaugurations-Rede Barack Obamas als auch den neuesten gerade bei uns angelaufenen Spielberg-Film „Lincoln“ angesehen hat, dem fiel Folgendes auf: Obama verwendete Sprachbilder, Denkfiguren und Wendungen, die direkt aus Reden jenes Präsidenten stammen, der vor rund 150 Jahren den Bürgerkrieg gegen den sezessionistischen Süden gewann und die Schwarzen aus der Sklaverei befreite.
Obama plagiierte aber nicht. Im Gegenteil: Der Präsident, der auf seine zweite Amtszeit angelobt wurde, griff die Lincoln-Rhetorik auf, um sich ganz bewusst in die Nachfolge dieses Helden, dieser Ikone der amerikanischen Geschichte zu stellen. Und er konnte sicher sein: Die Millionen US-Bürger, die den feierlichen Event mitverfolgten, verstanden die Anspielungen. Viele Amerikaner kennen die Reden des ­Abraham Lincoln auswendig.

Eine pathetische Passage in der Angelobungsrede des ­jetzigen Präsidenten hat besondere Aufmerksamkeit erregt: „Wir, das Volk, erklären heute, dass die selbstverständlichste aller Wahrheiten die ist, dass wir alle gleich geschaffen sind. Das ist der Stern, der uns noch immer leitet, so wie er un­-
sere Vorfahren durch Seneca Falls, Selma und Stonewall ­leitete.“
Zunächst ist es beeindruckend, dass Obama dem Publikum nicht erklären musste, was er damit meinte. Für uns Europäer muss der Satz dechiffriert werden:

Seneca Falls ist eine Kleinstadt im Staat New York. 1848 trafen einander dort Anti-Sklaverei-Aktivistinnen. Sie verfassten eine Deklaration, welche die Gleichberechtigung der Frauen proklamierte. Seneca Falls steht heute für die Gründung der amerikanischen Frauenbewegung.
Im Frühling des Jahres 1965 marschierten Tausende Demonstranten in drei Tagen von Selma, einem Ort in Alabama, nach Montgomery, der Hauptstadt dieses Südstaates, um gegen die Ermordung eines der Bürgerrechtler durch die Polizei zu protestieren und die Durchsetzung des Wahlrechts der Schwarzen zu erzwingen. Die Selma-Märsche gelten seitdem als Höhepunkt des amerikanischen Civil Rights Movement.
Stonewall Inn ist der Name einer Schwulenbar in New York. In den Morgenstunden des 28. Juni 1969 führte die Polizei dort eine Razzia durch. Die Barbesucher widersetzten sich den Festnahmen. Es kam zu Auseinandersetzungen und in der Folge zu einem regelrechten tagelangen Aufstand. Das Ereignis wird von der Lesben- und Schwulenbewegung als Wendepunkt in ihrem Kampf für Gleichbehandlung und Anerkennung gesehen.

War die Erwähnung der Stonewall-Unruhen schon sensationell genug, setzte Obama noch eins drauf. „Wir haben auf unserer Reise zur Gleichheit das Ziel noch nicht erreicht, solange unsere homosexuellen Brüder und Schwestern („our gay brothers and sisters“) vom Gesetz nicht behandelt werden wie alle andern auch.“ Und er präzisierte: „Denn wenn wir gleich geschaffen sind, muss auch die Liebe eines Menschen zu einem andern gleichwertig sein.“

Dass Obama für die Ehe Gleichgeschlechtlicher eintritt, ist seit seinem Wahlkampf des Vorjahres bekannt. Mit der Angelobungsrede hat er aber viel mehr getan: Er hebt Stonewall auf die Ebene jener legendären Ereignisse, welche den Kampf der Frauen und der Schwarzen für ihre Rechte symbolisieren. Er reiht die Bewegung der Schwulen und Lesben demonstrativ in die amerikanische Historie ein, die er – und mit ihm seine Landsleute – als eine Geschichte der fortschreitenden Emanzipation, als Weg zu einer Gesellschaft der Freiheit und Gleichheit interpretiert. Nur so weit zur Geschichtslosigkeit der Amerikaner.

Und Obama weiß den Zeitgeist auf seiner Seite: Noch vor wenigen Jahren waren Amerikaner, die Homosexuellen das Recht aufs Heiraten geben wollen, eine kleine Minderheit. Heute sind sie in der Mehrheit. Auch unter den Afroamerikanern, die – vielfach von einer Macho-Kultur geprägt – noch vergangenes Jahr nichts von gay marriage wissen wollten. Jetzt ist eine schwarze Majorität für die Schwulenehe. Da soll noch einer sagen, dass sich Mentalitäten immer nur sehr langsam verändern.

Nun noch ein kleiner Schwenk nach Österreich. Da vollzieht sich der Wandel tatsächlich sehr zäh. Spät, aber doch wurde vor vier Jahren den Homosexuellen erlaubt, sich zu „verpartnerschaften“. Wo die Verbindung von Homosexuellen aber wie eine Ehe aussehen könnte, dort, wo es auch symbolisch um Gleichheit geht, stehen bösartige Stoppschilder: Der Bindestrich im gemeinsamen Doppelnamen zum Beispiel ist – verfassungswidrig, wie sich jetzt herausstellt – verboten. Und der schwule Bund des Lebens darf nicht am Standesamt eingegangen und gefeiert werden. Dann könnten ja heterosexuelle Brautleute auf schwule Pärchen treffen, warnte einmal Vizekanzler Michael Spindelegger und fügte besorgt hinzu: „Ob das so gut ist, sei dahingestellt.“

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