Georg Hoffmann-Ostenhof: Von Vermont nach Kurdistan und retour

Wie Ideen reisen, Utopien scheitern und diese doch Hoffnung geben.

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Hier sei eine kleine aktuelle Globalisierungsstory erzählt. Eine Geschichte in drei Akten.

1. Es geht zunächst um einen verstorbenen und nur wenig bekannten politischen Theoretiker der USA, der dieser Tage auf seltsam verschlungenen Wegen geschichtswirksam wird. Die politische Biografie des Murray Bookchin unterscheidet sich zunächst nicht wesentlich von jener vieler US-Intellektuellen seiner Generation. 1921 als Sohn jüdischer Einwanderer aus Russland in New York geboren, wird er in seinen jungen Jahren kommunistischer Aktivist. Als Autoarbeiter engagiert er sich bei der Gewerkschaft, bricht aber bald mit dem Stalinismus und letztlich auch mit Marx. In den folgenden Jahren treibt er sich in den verschiedensten linken und anarchistischen Kleingruppen, Sekten und Intellektuellenzirkeln herum. Anders als viele seiner Genossen aber schließt er sich in den folgenden Jahren nicht dem politischen Mainstream an. Er bleibt Revolutionär. Bereits in den frühen 1950er-Jahren kommt er zur Erkenntnis, der Schwachpunkt des Kapitalismus sei nicht das Proletariat, sondern das Faktum, dass das System mit der Natur in Konflikt gerät. So wird Bookchin ein früher Pionier der Umweltbewegung. Mit seinem Artikel „The Problem with Chemicals in Food“ macht er 1952 Furore. Weitere Arbeiten nehmen vieles von dem vorweg, was die Ökologen in späteren Jahren predigen, beeinflussen die erstarkende Umweltbewegung und propagieren eine weitgehende Dezentralisierung der Macht, Basisdemokratie in überschaubaren Einheiten, Hierarchielosigkeit und radikalen Feminismus. Mit vielen Hippies und anderen Stadtflüchtlingen übersiedelt Bookchin Anfang der 1970er-Jahre nach Vermont, dem ländlichen Bundesstaat an der Grenze zu Kanada. Dort versucht er seine libertär-ökologisch-feministische Polit-Utopie in die Praxis umzusetzen. Er scheitert. Enttäuscht auch über den allgemeinen Niedergang der Linken und den geringen Anklang, den seine Ideen finden, stirbt Bookchin 2006 – einsam, verbittert und weitgehend vergessen.

2. Wir schreiben das Jahr 2015. Der Syrien-Krieg tobt. Die einzige Kraft, die dem sogenannten „Islamischen Staat“ (IS) ernsthaft Paroli bieten kann, sind die syrischen Kurden. An vorderster Front kämpfen Frauen-Bataillons und heizen den Steinzeit-Islamisten des IS ganz gehörig ein. Das wird mit Erstaunen von der internationalen Öffentlichkeit registriert. Dass aber die von den Kurden gehaltenen und verwalteten Gebiete im Norden Syriens – Rojava genannt – auch in allen anderen Bereichen völlig anders ticken, als alles, was man sonst aus dieser Region kennt, wird nur sporadisch kolportiert. Gar Wundersames berichten Reisende von dort: dass Frauen in gleichem Maße wie Männer in Führungsgremien vertreten sind, dass die Entscheidungen weniger von einem Zentrum, sondern eher dezentral gefällt werden, und dass die verschiedenen Ethnien und Glaubensrichtungen im Normalfall nicht diskriminiert werden und politisch voll integriert sind (fallweise Vertreibungen von Arabern, denen man Kollaboration mit IS vorwirft, wurden von Amnesty kritisiert, von den Kurden als Ausnahmen bedauert). Säkularismus und Religionsfreiheit sind Programm und Praxis. Und all das inmitten der Barbarei des syrischen Bürgerkriegs! Wie konnte es dazu kommen? Abdullah Öcalan, der Gründer der maoistischen Guerilla-Gruppe mit dem Namen Kurdische Arbeiterpartei (PKK), wird 1999 verhaftet und sitzt seine lebenslange Haft auf einer Insel nahe Istanbul ab. Der einst wüste Stalinist hat im Gefängnis ein Damaskuserlebnis. Er beginnt zu lesen, stößt unter anderem auf Schriften von Bookchin. Und ist fasziniert. Öcalan beginnt, mit dem greisen Amerikaner zu korrespondieren und wird, wie er selbst schreibt, dessen „Schüler“. Bookchins Buch „Ökologie der Freiheit“ erklärt er zur Pflichtlektüre für die PKK-Kämpfer. Die Partiya Yekita Demokrat (PYD), der syrische Ableger der PKK (eine Organisation, die noch immer von den USA und Europa als terroristisch eingestuft wird) versucht, in dem von ihr kontrollierten Gebiet die Utopie des amerikanischen Öko-Revolutionärs Bookchin zu verwirklichen und mit der Waffe in der Hand zu verteidigen. Und das (welch Ironie!) unter dem Schutz amerikanischer Bomben.

3. Die Biografie von Bernie Sanders, der Hillary Clinton die demokratische Präsidentschaftskandidatur abspenstig machen will, gleicht auf weiten Strecken jener von Murray Bookchin. 20 Jahre jünger als dieser, ist „Bernie“ ebenfalls als Kind von jüdischen Immigranten aus Osteuropa in New York aufgewachsen, engagiert sich gleichfalls lange Zeit in linken Bewegungen, übersiedelt ebenso Anfang der 1970er- Jahre nach Vermont und verkehrt da in den gleichen politischen Kreisen wie Bookchin, (dessen Tochter auch Pressesprecher des Abgeordneten Sanders war). Sanders ist ebenfalls stark umweltbewegt, politisch aber kein enttäuschter Radikaler: Er mutiert bereits in den 1980er-Jahren zu einem demokratischen Sozialisten, dem nun im Vorwahlkampf ums Weiße Haus die Herzen zufliegen. Es wird wohl nicht reichen. Einen Präsidenten Sanders wird es wahrscheinlich nicht geben. Als Realist kann man in gleichem Maße davon ausgehen, dass das schöne revolutionär-demokratische Experiment, das die syrischen Kurden jetzt probieren, nicht von Dauer sein wird.

Dennoch: Diese kleine dreiteilige Globalisierungserzählung gibt zumindest eine Ahnung davon, dass und wie die Welt doch besser werden könnte.

Georg Hoffmann-Ostenhof