Georg Hoffmann-Ostenhof

Georg Hoffmann-Ostenhof Wahre Finnen, gute Germanen

Wahre Finnen, gute Germanen

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Nokia, PISA und doppelte Vokale. Dafür ist Finnland bekannt. Für aufregende Politik wohl kaum. Jahrzehntelang war das nordeuropäische Land mit der seltsamen Sprache ein Hort der politischen Stabilität. Wer immer am Ruder war, Konservative, Liberale, Sozis: Das Land wurde letztlich brav und fad sozialdemokratisch regiert. Die Politik war bis jetzt „so beweglich wie die Ostsee im Winter“, schreibt ein Helsinki-Korrespondent.

Das wird jetzt anders: Die „Wahren Finnen“ schlagen Wellen. Die Rechtspopulisten mit diesem programmatischen Namen sind die großen Gewinner bei den Wahlen dieses Sonntags. Das stand schon vor dem Urnengang fest: Sie vervielfachen ihren Stimmenanteil, nähern sich in ihrer Stärke den traditionellen Parteien an und werden höchstwahrscheinlich in der nächsten Regierung sitzen. Da mag der Parteichef Timo Soini weniger polternd und nicht so rassistisch sein wie seine rechtspopulistischen Kollegen in anderen europäischen Ländern – eine grundsätzlich andere Politik betreibt er aber auch nicht: Ausländer, Multikulti und die EU sind auch da im hohen Norden die Feindbilder. Die Spezialität der „Wahren Finnen“: Sex vor der Ehe finden sie abscheulich und verdammenswert.
Die überraschende Entwicklung in diesem fernen skandinavischen Land wäre für sich gesehen wohl nicht wirklich interessant, bestätigte und verstärkte sie nicht einen allgemeinen europäischen Trend. Fast überall am Kontinent stürzen die traditionellen Mitteparteien ab und schwemmt es europafeindliche und xenophobe Parteien des rechten Randes nach oben.

Dass Michael Spindeleggers Charisma H. C. Strache stoppen wird können, glaubt wohl niemand. Im Gegenteil: Anzunehmen ist, dass auch mit der neuen ÖVP-Führung der Verdruss über die Regierung und „die Politiker“ noch anwachsen wird. Und der Zorn der Menschen kommt offensichtlich hauptsächlich der FPÖ zugute. Bundeskanzler Strache – das ist nicht mehr völlig undenkbar.

Dass die Chefin des Front National, Marine Le Pen, kommendes Jahr beim ersten Durchgang der französischen Präsidentenwahlen Nicolas Sarkozy aus dem Rennen wirft, erscheint inzwischen als realistische Perspektive. Nicht die oppositionellen Sozialisten profitieren vom Niedergang der regierenden Gaullisten. Ein wenig die Öko-Grünen, am stärksten befinden sich aber die Rechtspopulisten der Frau Le Pen im Aufwind. Und der Versuch Sarkozys, den Rechtspopulisten mit Schleierverbot, Roma-Deportationen sowie Diskussionen über die „nationale Identität“ und „Laizismus“ Wähler abspenstig zu machen, funktioniert immer weniger.

Wann der Cavaliere geht, ist nicht klar. Das Ende des Berlusconismus ist aber abzusehen. Der italienische Bunga-Bunga-Ministerpräsident ist schwer angeschlagen. Freuen kann sich aber nicht die linke Opposition. Die einzige Partei Italiens, die wirklich wächst, ist die offen rassistische Lega Nord, im Vergleich zu der die FPÖ geradezu als liberale Humanistenpartei erscheint. Keine 20.000 Nordafrikaner haben sich seit dem Beginn der arabischen Revolution nach Italien abgesetzt. Aber die Regierungspartei Lega faselt von einer „Invasion“. Um die aufzuhalten, sei jedes Mittel erlaubt: Roberto Castelli, ein Staatssekretär, sagt, er würde Flüchtlingsboote am liebsten „abschießen“. Und Roberto Maroni, Lega-Innenminister im Berlusconi-Kabinett, stellt die Existenzberechtigung der EU überhaupt infrage, weil die anderen europäischen Staaten Rom nicht zu Hilfe eilten, wenn es um die Abwehr des „Flüchtlingstsunamis“ aus dem Süden gehe.

Es wird ungemütlich. Vom Schwarzen Meer bis zum Atlantik und von der Ostsee bis zur Adria – die Bösartigkeit der Fremdenhasser, die Angst vor dem Islam und kleinkarierte Nationalismen grassieren überall. Und das zerbröckelnde politische Zentrum – in seiner linken oder rechten Ausprägung – zeigt sich überall ratlos.

Und doch gibt es eine rühmliche Ausnahme: Deutschland. Zwar befindet sich die konservativ-liberale Regierung in Berlin – trotz guter Wirtschaftsdaten – auch nicht in bester Verfassung. Und jener Europa-Enthusiasmus, der einst deutsche Kanzler beflügelte, ist unter Angela Merkel verflogen. Europäische Solidarität ist ihre Sache nicht.

Der Vergleich macht trotzdem sicher: „Der Islam ist längst ein Teil unseres Landes“, sagte vor zwei Jahren Wolfgang Schäuble. Die Angst vor Muslimen zu schüren sei von Übel. Schäuble war damals Innenminister. In welchem anderen EU-Land würde ein Innenminister, ein konservativer mit Law-and-Order-Image zumal, so reden? Am erstaunlichsten ist aber, dass – trotz aller Turbulenzen und trotz historischer Brüche wie der Wiedervereinigung – seit den sechziger Jahren es keine rechtsextreme oder radikal nationalistische Partei auch nur in die Nähe des Bundestags geschafft hat.
Als vergangenes Jahr der SPD-Mann und Bundesbanker Thilo Sarrazin mit seinem pseudowissenschaftlichen Unsinn von der Dummheit und Integrationsunfähigkeit der Migranten und der Gefahr des Aussterbens der Deutschen Furore machte; als bei Umfragen über zwei Drittel der Deutschen angaben, mit Sarrazins Thesen übereinzustimmen, da sah es ganz so aus, als ob nun auch Deutschland vom so unerquicklichen europäischen Zeitgeist voll erfasst würde. Und viele fragten bange: Wird nicht auch da eine Partei wie der Front National oder die FPÖ entstehen und Erfolge feiern?

Es kam aber ganz anders. Von einer ernst zu nehmenden Rechtsaußen-Partei ist nichts zu sehen. Die zornigen deutschen „Wutbürger“ marschieren nicht nach rechts. Sie verhelfen, ganz im Gegenteil, den Grünen – einer deklariert proeuropäischen, antirassistischen Multikulti-Partei – zu einem nie da gewesenen Höhenflug.

Die Deutschen sind anders – offenbar zivilisierter. Und sie zeigen, dass die Menschen, entgegen den allgemeinen Annahmen, doch aus der Geschichte lernen.

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Georg Hoffmann-Ostenhof