Georg Hoffmann-Ostenhof

Georg Hoffmann-Ostenhof Wir Sumperer

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Man kann die Intelligenz des Herrn Botschafters nur bewundern. Kadri Ecvet Tezcan lebt erst seit einem Jahr in Österreich. Und schon versteht der türkische Vertreter in Wien die österreichischen Verhältnisse besser als viele, die ihr ganzes Leben schon im Land verbracht haben. Sein Interview in der Tageszeitung „Die Presse“ zeugt von einer erstaunlichen Klarsicht. Wer nicht nur empört ist über den Tort, den der Vertreter der Türkei unserer Heimat durch sein Interview angetan hat, der findet darin tiefe Einsichten und goldene Worte.

„Wenn man nicht willkommen ist und von der Gesellschaft immer wieder an den Rand gedrängt wird, warum soll man dann Teil dieser Gesellschaft sein wollen?“, sagt er zum Thema Integration. Dass diese im Innenministerium ressortiert, findet er „unglaublich: Wenn man dem Innenministerium ein Problem gibt, wird dabei eine Polizeilösung rauskommen.“ Verschärft werde das Problem, so Tezcan, durch eine Personalie: Die Innenministerin sei mit ihrem Mangel an liberaler und offener Geisteshaltung „in der falschen Partei“. Und auch die SPÖ kriegt ihr Fett ab: Wenn er Sozialdemokraten auf die Rechte von Migranten im Land anspreche, berichtet der Botschafter, antworteten sie ihm: „Wenn wir etwas dazu sagen, bekommt Strache mehr Stimmen.“ Und dass ein Mann wie H. C. Strache bei Wahlen fast ein Drittel der Wiener mobilisieren kann, hält Tezcan für absolut nicht normal, sondern für den Ausdruck einer grundlegend xenophoben und nicht zuletzt türkenfeindlichen Grundstimmung. Das sind zutreffende politische Beobachtungen.

Der Botschafter polemisiert. Teilweise übertreibt er auch in seiner Österreich-Kritik. Aber wissen wir im Land des Thomas Bernhard und des Karl Kraus nicht am besten, dass die Wahrheit durch Übertreibung und Polemik eher zu ihrem Recht kommt als in wohlausgewogenen und vorsichtigen Analysen?

Gewiss: Es ist für einen Botschafter höchst unprofessionell, so zu reden. Da haben seine Kritiker Recht. Die Profession des Diplomaten besteht ja gerade darin, elegant zu lügen. Tezcan hat grob die Wahrheit gesagt. Natürlich muss die Regierung reagieren, wenn so eklatant gegen die Usancen in den Beziehungen der Staaten untereinander verstoßen wird. Das tat sie. Aber wie?

Zwar hat Michael Spindelegger innerhalb eines Jahres keine Zeit gefunden, den türkischen Botschafter zu empfangen. Als dieser sich jedoch in der Öffentlichkeit gemeldet hatte, da konnte es nicht schnell genug gehen: Prompt verkündete der österreichische Außenminister seine „Empörung“ über die „inakzeptablen“ Äußerungen des Diplomaten. Kanzler und Vizekanzler und weitere Regierungsmitglieder waren auch sofort zur Stelle, um sich medienwirksam über den Österreich-Beschimpfer vom Bosporus zu erregen. Wieder einmal gab die Politik den Startschuss für einen nationalen Schulterschluss: diesmal gegen den türkischen Aggressor, der ja in doppelter Gestalt auftritt – als EU-beitrittswilliger Staat und als integrationsunwilliger Migrant.

Vergangene Woche fühlte man sich wie damals, als das Land glaubte, sich wie ein Mann gegen die „Ostküste“ und ihre Angriffe gegen Waldheim stellen zu müssen, oder als man patriotisch den Feind in Berlin und Paris ortete, wo die so genannten Sanktionen gegen Österreich ausgeheckt wurden.

Wer die Boulevardzeitungen der vergangenen Woche las und wer den Masochismus aufbrachte, sich die Leserbriefe und Postings anzuschauen, dem schlug – auch bei jenen der Qualitätszeitungen – ein Türken-Hass entgegen, der die Österreich-Kritik des Botschafters nicht nur bestätigt, vielmehr diese noch auf weite Strecken als freundliche Untertreibung aussehen lässt.

„Das sagt Österreich“. Unter diesem Kolumnentitel schreibt Wolfgang Fellner, Chef des gleichnamigen Massenblatts: ­„Spätestens jetzt ist klar, dass die Türkei sanfte Integration für ihre Auswanderer im jeweiligen neuen Heimatland nicht will. Die Türken wollen Europa islamisieren – mit Kopftüchern und Moscheen.“ Wenn solcher paranoide Unsinn in dem noch am wenigsten fremdenfeindlichen Blatt am Boulevard verzapft wird, dann kann einem nur angst und bange werden.

Den freundlichen Kommentatoren, die den Botschafter zwar kritisieren, ihm aber zugutehalten, er gebe einen Anstoß, endlich offen über die so dringlichen Probleme der Integration zu debattieren, muss aber gesagt werden: Über Integration und Ausländer wird seit Jahren dauernd diskutiert – geradezu obsessiv. Das wirkliche Problem dieses Landes sind nicht Asylanten, Einwanderer und Fremde, sondern der – sagen wir es einmal ungeschminkt – virulente Rassismus, der seit Jahr und Tag Österreichs Gesellschaft und Politik durchdringt.

PS: Was wir rund um das Botschafter-Interview vergangene Woche erlebten, signalisiert nur eine weitere Etappe auf dem Weg in die Versumperung Österreichs – eine Entwicklung, in die auch eine Meldung der vergangenen Woche passt, die freilich weit weniger Aufmerksamkeit generierte: Im Rahmen des Sparprogramms wird den außeruniversitären Forschungseinrichtungen die ohnehin bescheidene Basisfinanzierung gestrichen. Und das betrifft vor allem auch jene Institute, die sich mit Außenpolitik, internationalen Beziehungen und Kultur befassen: Angesehene Einrichtungen, wie etwa das Institut für die Wissenschaft vom Menschen (IWM), das Internationale Forschungsinstitut Kulturwissenschaften (IFK), das Institut für Höhere Studien (IHS), das Österreichische Institut für Internationale Politik (ÖIIP), sind in ihrer Existenz bedroht. Und das in einem Land, das an Think-Tanks in diesen Bereichen ohnehin um so viel ärmer ist als vergleichbare Länder.

Es sei ein Wahnsinn, die letzten außenpolitischen Fenster, die das Land noch habe, zu schließen, meint Franz Vranitzky, langjähriger Vorstand des ÖIIP: „Provinzialisierung ist das Leitmotiv dieser Regierung.“ Es ist eine bösartige Provinzialisierung, die das Land erlebt.

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Georg Hoffmann-Ostenhof