Georg Hoffmann-Ostenhof

Georg Hoffmann-Ostenhof Zwischen den Welten

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Als Ende der 1990er-Jahre die Balkankriege zu Ende gingen, atmete Europa auf. Seit damals galt die Vorstellung, dass Gebiete dieses Kontinents neuerlich zum Schlachtfeld werden könnten, als überaus unrealistisch. Das Zeitalter europäischer Kriege schien nun wirklich endgültig vorbei zu sein. Man hat sich getäuscht. Die Bilder, die uns vergangene Woche aus Kiew erreichten, erschreckten – als ob sie aus dem syrischen Aleppo oder Homs und nicht aus einer europäischen Hauptstadt stammten.

Inzwischen hat auch der bisher so langsam, unkoordiniert und unentschieden agierende Westen erkannt: Höchste Priorität besteht darin, haltbaren Frieden in diesem an der Trennlinie von Europa und Russland liegenden Staat zu schaffen, und diese Region, die sich bisher in einem gefährlichen geopolitischen Schwebezustand befindet, auf Dauer zu pazifizieren. Aber wie kann das gelingen?

Vor zehn Jahren hatten friedliche Demonstrationen genügt, um den russophilen Präsidenten Viktor Janukowitsch loszuwerden. Die vergangenen Tage sah es fast so aus, als ob es dafür diesmal des Siegs in einem mörderischen Bürgerkrieg bedürfte. Dass der Mann aus Donezk vergangene Woche die „chinesische Karte“ ausspielte – also versuchte, kurzen Prozess zu machen und gezielt den Aufstand, den „Euromaidan“ niederzukartätschen – zeigt, wie sehr sich die Situation verändert hat.
Wladimir Putins Politik ist jedenfalls eine andere geworden. Zbigniew Brzezinski, der Doyen der amerikanischen Osteuropapolitik, wusste unmittelbar nach dem Untergang der Sowjetunion, dass ein Russland ohne Ukraine „ein russisches Fragment“ bliebe, mit der Ukraine aber wieder ein Imperium würde. Diese Erkenntnis scheint Putin nun mit dem Amerikaner zu teilen, und sie treibt ihn immer stärker um.

Putin hat, wie es aussieht, seinem Vasallen in Kiew grünes Licht für die Massakrierung der Protestbewegung gegeben. Und das zu einem Zeitpunkt, als er gerade in Sotschi versucht, Russland als moderne, allseits akzeptierte Supermacht zu inszenieren. Das zeigt, wie zentral die Ukraine für Putin ist und wie sehr ihn seine neoimperialen Ambitionen leiten.
Das unmittelbare Kalkül des Kremlherrn ist nicht aufgegangen. Der Euromaidan scheint tatsächlich einen Etappensieg errungen zu haben. Das Land kann zwar immer noch in einen blutigen Bürgerkrieg abdriften, aber die Macht Janukowitschs bröckelt. Seine Partei versagt ihm inzwischen die Gefolgschaft, auch in der Armee – ganz wichtig! – zeichnen sich Absetzbewegungen ab. Und der Westen des Landes dürfte sich des unmittelbaren Zugriffs der Kiewer Autorität bereits entzogen haben. Die Perspektive, dass tatsächlich noch in diesem Jahr gewählt wird und der Semidiktator einen Abgang macht, ist seit Freitag vergangener Woche nicht mehr bloßes Wunschdenken.

Selbst in diesem optimistischen Szenario bliebe jedoch die ukrainische Frage ungelöst. Auch wenn die proeuropäi-schen Kräfte in naher Zukunft die Macht ergreifen – der Kreml wird weiterhin nichts unversucht lassen, die Ukraine in seinen Einflussbereich zu ziehen. Er hat mit den vielen ethnischen Russen und den russischsprechenden Ukrainern im Osten des Landes nach wie vor einen formidablen Ansatzpunkt, von dem aus er den Aufbruch des Landes nach Europa sabotieren kann. Und völlig ausgeschlossen kann auch nicht werden, dass in absehbarer Zukunft wieder einmal russische Panzer rollen. Man frage die Georgier.

Zweifellos will die Mehrheit der Ukrainer europäisch und nicht moskowitisch regiert werden. Und dass Russland und seine Kiewer Verbündeten beim Kampf um Einfluss mit absolut inakzeptablen und verwerflichen Mitteln vorgehen, ist ebenso klar. Die nachhaltige Befriedung dieser instabilen Region zwischen den Welten wird aber wohl nicht gegen, sondern nur mit den Russen funktionieren.

Deren historische Traumata und Sensibilitäten sind real. Man kann auch die sicherheitspolitischen Befürchtungen und Interessen Moskaus nicht ignorieren.

Endgültig entschärft wird wohl die Ukrainische Krise erst sein, wenn in einer großen diplomatischen Anstrengung des Westens und Russlands die Ukraine aus ihrem geopolitischen Zwielicht geholt wird. Den Ukrainern muss, was man ihnen bisher verweigert hat, auf lange Sicht ernsthaft ein EU-Beitritt in Aussicht gestellt werden. Die Vorstellung aber, dass in einem ihrer geschichtlichen Kernländer demnächst Truppen der westlichen Allianz einrücken, ist für die Russen unerträglich. Könnte der Westen nicht als Zugeständnis an Moskau definitiv auf eine weitere NATO-Osterweiterung verzichten? Wäre für die Ukraine nicht der Status einer von den Großmächten garantierten Neutralität am adäquatesten? Ziel muss jedenfalls ein historischer Kompromiss sein.

In der vergangenen Woche haben die Europäer gezeigt, dass sie, wenn sie gemeinsam und geschlossen vorgehen, erfolgreich Außenpolitik machen können. Den Außenministern von Frankreich, Deutschland und Polen, die in Kiew so intensiv verhandelt haben, ist zu gratulieren. Jetzt gilt es aber am Ball zu bleiben und endlich eine weitsichtige, intelligente Russlandpolitik zu entwickeln – ohne der naheliegenden Versuchung nachzugeben, zu einem Kurs des Kalten Krieges zurückzukehren. Der könnte nämlich in einen heißen Krieg münden. Das Risiko ist zu groß.

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