Georg Hofmann-Ostenhof: Unstoppable?

Die Europafeinde gewinnen überall. Die Unterstützung für die EU wächst dennoch.

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Nach den spektakulären Zugewinnen bei den steirischen und burgenländischen Wahlen borgte sich Heinz-Christian Strache im Überschwang ein Conchita-Wort: Seine Partei sei „unstoppable“, jubelte er. Und dies scheint diesmal nicht nur seine übliche Großsprecherei zu sein.

Er kann ja tatsächlich darauf hinweisen, dass die FPÖ in fast allen Urnengängen der vergangenen Jahre zulegen konnte. Nicht nur das: Straches anhaltende Erfolge liegen im europäischen Trend.

Sind sein Aufstieg und der Siegeszug von seinesgleichen in Europa wirklich unaufhaltsam?

Aufgeklärte Europäer sind am Verzweifeln: Fast überall sind Parteien im Vormarsch, die lieber heute als morgen die EU verlassen oder zur alten nationalen Währung zurückkehren wollen. Formationen, welche die Angst vor der Islamisierung Europas schüren und die Leute gegen Flüchtlinge aufhetzen, werden immer stärker. Man muss nur die Wahlen des vergangenen Jahres Revue passieren lassen:

- Die offenen EU-Feinde stellen seit Mai 2014 in Straßburg bereits über ein Fünftel der Europa-Abgeordneten.

- Marine Le Pen vom rechtsradikalen Front National schlug sich jüngst bei Kommunalwahlen so gut, dass sie bereits als mögliche zukünftige Staatspräsidentin Frankreichs gehandelt wird.

- In England treibt die migranten- und EU-feindliche UK Independent Party die britische Politik vor sich her und punktete erst vor Kurzem bei den Parlamentswahlen.

- Ende Mai erlebte Polen einen Rechtsruck: Der amtierende Präsident Bronislaw Komorowski, ein wirtschaftsliberaler Pro-Europäer wurde abgewählt, der konservative Nationalist Andrzej Duda folgt ihm nach.

- Zwar behaupteten sich die italienischen Sozialdemokraten bei Regionalwahlen als stärkste Partei, aber die radikal-rechte Lega Nord konnte ihren Stimmenanteil fast verdoppeln. Und die betont EU-averse Fünf-Sterne-Partei wurde zur zweitstärksten politischen Kraft im Land.

- In Budapest sitzt Viktor Orban, der Nationalpopulist, der immer wieder gegen den europäischen Stachel löckt, fest im Sattel. Laut Umfragen hat er aber nur die Konkurrenz von noch weiter rechts zu fürchten. Die faschistische Jobbik-Partei ist bereits fast so stark wie Orbans Fidesz.

- Und dort, wo statt rechtsradikalen Parteien linkspopulistische „das System“ herausfordern, wird zwar nicht gegen Ausländer mobilisiert, Brüssel ist aber auch da eines der Hauptangriffsziele. So etwa in Spanien, wo bei den jüngsten Kommunalwahlen die erst vor einem Jahr gegründete Podemos die etablierte Politik das Fürchten lehrte.

Das europäische Projekt insgesamt scheint hochgradig gefährdet zu sein.

Die Entwicklung ist in der Tat zum Fürchten – und nicht nur für die linken und rechten Mitteparteien, die gemeinhin die Regierungen stellen und nun um ihre schiere Existenz bangen müssen. Das europäische Projekt insgesamt scheint hochgradig gefährdet zu sein. Joschka Fischer, der ehemalige deutsche Außenminister, spricht in diesem Zusammenhang von einer fatalen „Erosion der EU-Unterstützung durch die Wählerschaft der Mitgliedsstaaten“. Und die Evidenz scheint ihm nur allzu Recht zu geben.

Bloß: Die Wirklichkeit ist dann doch um vieles komplizierter, als es den Anschein hat. Das zeigt eine gerade veröffentlichte Studie des renommierten US-Forschungsinstituts Pew Research Center über die Einstellung der Europäer zur EU. Die Ergebnisse könnten überraschender nicht sein: Von Erosion der Zustimmung zur Union keine Spur. In den großen sechs Ländern, in denen das Institut jährlich Umfragen durchführt – in Deutschland, Frankreich, England, Italien, Polen und Spanien –, ist seit 2013 der Anteil jener, die eine positive Haltung zur EU haben, stetig gewachsen. Auch die Meinung, dass die „wirtschaftliche Integration in Europa“ das jeweils eigene Land „stärker macht“, wird heute von mehr Menschen geteilt als noch vor zwei Jahren.

Bemerkenswert sind vor allem die Daten für Großbritannien: Noch 2013 wollten nur 43 Prozent, dass das Land bei der EU bleibt. Jetzt sind es 55 Prozent.

Klar hängt dieser allgemeine Stimmungsumschwung mit der wirtschaftlichen Erholung Europas zusammen. Und paradoxerweise begrüßen gleichzeitig Mehrheiten in allen untersuchten Ländern, dass EU-kritische Parteien dem politischen Establishment Denkzettel verpassen. Erstaunlich bleibt dennoch, dass die Unterstützung der EU nicht erodiert, sondern im Steigen begriffen ist.

Ähnlich unerwartet ein anderes Ergebnis der Pew-Studie. Man hätte doch annehmen können, dass sich die Einstellung der Franzosen zu ihren muslimischen Landsleuten mit dem islamistischen Anschlag auf „Charlie Hebdo“ und auf einen jüdischen Supermarkt verschlechtern würde. Genau das Gegenteil ist eingetroffen: Vor den tödlichen Schüssen Anfang des Jahres waren die Muslime in Frankreich weniger beliebt als heute. Die französischen Juden haben im Übrigen auch an Sympathie gewonnen. Offenbar hat die kluge und souveräne Reaktion der so verschmähten „politischen Kaste“ Frankreichs auf die schockierenden Ereignisse einiges gebracht.

Wirklich tröstlich sind diese seltsamen Umfrage-Befunde nicht wirklich. ‚‚Einiges ist aus ihnen dennoch herauszulesen: 1. „Unstoppable“ ist gar nichts. Dazu ist die Wirklichkeit zu widersprüchlich und unberechenbar. 2. Eine pro-europäische Politik muss nicht von vornherein zu Wahlniederlagen führen. Und 3. Ein offensiver Kurs gegen ausländerfeindliche Tendenzen ist wahrscheinlich eher erfolgversprechend als das taktische Flirten mit diesen.

Dies sei in diesen Tagen auch und gerade der österreichischen Politik gesagt.

Georg Hoffmann-Ostenhof