Meinung

Georgiens Alptraum

Die Bevölkerung Georgiens will in die EU. Aber ihre Regierung torpediert das mit einem Gesetz, das von Wladimir Putin stammen könnte.

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Sie zelten vor dem Parlament und spielen die „Ode an die Freude“, die Europa-Hymne. In Georgien gehen seit Wochen Zehntausende auf die Straße. Ein Maidan wie damals in der Ukraine ist das keiner, aber ein lauter und klarer Aufschrei gegen ein umstrittenes Gesetz.

Es trägt den Namen „Gesetz zur Transparenz ausländischer Einflussnahme“, und es sieht vor, dass sich Medien oder Nichtregierungsorganisationen (NGOs), die mehr als

20 Prozent ihres Budgets aus dem Ausland erhalten, registrieren müssen. Sie gelten dann als Vertreter ausländischer Interessen, und Behörden können sie leichter überwachen. Das gilt für Amnesty International ebenso wie für „Renovabis“, das Osteuropa-Hilfswerk der katholischen Kirche.

Das Gesetz atmet den Geist Wladimir Putins. Seit 2012 müssen sich in Russland NGOs, die finanzielle Unterstützung aus dem Ausland bekommen, als „ausländische Agenten“ registrieren. Ein Jahr später wurden in einer groß angelegten Aktion 2000 Büros durchsucht, auch jenes der deutschen Konrad-Adenauer-Stiftung, die der CDU nahesteht. Heute wissen wir: All das diente auch dazu, Kritiker mundtot zu machen. Von einer Zivilgesellschaft kann in Russland keine Rede mehr sein.

Aber man muss gar nicht so weit blicken. In Ungarn trat vor wenigen Monaten das Souveränitätsgesetz in Kraft. Es soll Ungarn „vor unzulässiger politischer Einmischung durch ausländische Personen oder Gruppen“ schützen. Kritische Medien oder NGOs werden in Ungarn seit Jahren

als Verräter und Agenten diffamiert. Bereits 2019 vertrieb Viktor Orbán die „Central European University“ (CEU) des US-Börsenmilliardärs George Soros aus seinem Land. Sie residiert seitdem zum Teil in Wien.

Drohen solche Verhältnisse auch in Georgien?

Mehr als 80 Prozent der Menschen wollen der EU beitreten. 

Im vergangenen Dezember hat das Land den Status als EU-Beitrittskandidat zuerkannt bekommen, was eine überwältigende Mehrheit der Bevölkerung befürwortet. Das Gesetz hingegen verbaut dem Land eine europäische Zukunft.

Der Kreml sieht das anders. „Wir stellen den Wunsch der georgischen Führung fest, ihr eigenes Land vor Einmischung in innere Angelegenheiten zu schützen“, so ein Sprecher Putins. Mit dem Gesetz, das am 14. Mai im Parlament verabschiedet wurde, spielt Georgien auf der Klaviatur tendenziell autoritärer Länder wie Ungarn, Türkei, aber auch Serbien. Auch dort werden Medien und NGOs seit Jahren als Agenten stigmatisiert, die einen angeblichen Umsturz planen. Davon kann in Georgien nicht einmal ansatzweise die Rede sein.

Mehr als 80 Prozent der Menschen wollen der EU beitreten. Viele wären auch gerne in der NATO, denn das Beispiel der Ukraine hat sie gelehrt, dass nur das Schutz vor Russland verspricht. Das Gesetz vermittelt ein Zerrbild, das so nicht existiert. Nämlich, dass aus dem Ausland finanzierte Medien und NGOs einen EU-Beitritt propagieren. Tatsächlich aber geht vielen im Land das Beitrittsverfahren viel zu langsam. Ähnlich wie auf dem Balkan, der seit 20 Jahren wartet, fühlen sich manche sogar von der EU im Stich gelassen.

Die Zivilgesellschaft der Länder Ost- und Südosteuropas lebt (auch) von den Geldern ausländischer Stiftungen, Universitäten, Botschaften und EU-Fördermitteln. Oft verfügen die nationalen Regierungen über keine derartigen Budgets oder missbrauchen sie zur Eigen-PR. Oligarchen mit guten Beziehungen in die Politik kaufen Medienunternehmen auf und greifen so in den Diskurs ein. Anders als von der russischen Propaganda dargestellt, arbeiten Initiativen, die aus dem Ausland finanziert werden, oft unabhängiger und freier. Auch deswegen hat Viktor Orbán die von George Soros finanzierte „Open Society Foundation“ aus seinem Land vertrieben.

Seit dem Krieg in der Ukraine fragen sich viele: Werden wir die Nächsten sein?

Das Agenten-Gesetz wäre das Ende einer lebendigen Zivilgesellschaft in Georgien. Es geht aber um mehr. Viele Menschen, die jetzt protestieren, haben Angst, eines Tages in einem Land aufzuwachen, das Russland gleicht. Oder noch schlimmer: ein Teil davon ist. In rund 20 Prozent des georgischen Territoriums (Südossetien und Abchasien) sind russische Truppen stationiert. 2008 standen die Panzer knapp vor der Hauptstadt Tiflis. Das Land ist wirtschaftlich stark von Moskau abhängig.

Seit dem Krieg in der Ukraine fragen sich viele: Werden wir die Nächsten sein?

Irakli Kobachidse von der Partei „Georgischer Traum“ und seit Februar Ministerpräsident will mit dem Gesetz nach seiner Ansicht mehr Transparenz schaffen und die Polarisierung beenden. Jetzt sehen wir das Gegenteil davon. Das Gesetz teilt die Zivilgesellschaft in zwei Lager. In „unsere“ und in „ihre“. Mit demselben Narrativ lenkt Viktor Orbán seit Jahren erfolgreich von Korruptions- und Missbrauchsfällen ab. Serbiens Präsident Aleksandar Vučić stellt Massenproteste als vom Ausland gesteuert dar.

Was Hoffnung gibt: Der Motor der Proteste ist die junge Bevölkerung. Die Präsidentin Georgiens hat sich klar auf ihre Seite gestellt und angekündigt, ein Veto einzulegen. Die EU-Kommission muss jetzt die Auswirkungen des Gesetzes auf den EU-Beitrittsprozess prüfen und Georgien, wenn nötig, den Status entziehen. Die georgische Regierung wird dafür eine Retourkutsche erhalten. Im Oktober stehen Parlamentswahlen an.

Franziska Tschinderle

Franziska Tschinderle

schreibt seit 2021 im Außenpolitik-Ressort. Studium Zeitgeschichte und Journalismus in Wien. Schwerpunkt Südosteuropa / Balkan.