Leitartikel: Gernot Bauer

Gernot Bauer Liebe Rentner!

Liebe Rentner!

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Ihr seid gekränkt, ihr seid erbost. Wir haben euch verletzt. Das tut uns nicht leid. Denn es war schon lange fällig. Im vorwöchigen profil warnten wir eindringlich vor „der grauen Gefahr“, „der Macht der Alten“, „fantasierten wohl­erworbenen Rechten“ und „maßlosen“ Ansprüchen, für die andere zahlen sollen. Wir warnten also vor euch, den 1,9 Millionen Pensionisten. Den Generationenvertrag, der für Andreas Khol „eine politische Leitidee bleibt“, bezeichneten wir als „sittenwidrig“. Unser Hauptbelastungszeuge war früher immerhin deutscher Bundespräsident. Roman Herzog, 75, prognostizierte im April 2008 eine „Rentnerdemokratie, in der die Älteren die Jüngeren ausplündern werden“. Das klang uns zu harmlos. Wir nannten es eine „Gerontokratie mit kleptokratischen Zügen“.

Eure Proteste waren bemerkenswert, weil zahlreich und meist elektronisch per E-Mail hinterlegt. Eigentlich dürfte das nicht sein. Laut Statistik Austria benützt ihr das Internet nämlich gar nicht so gern und gebt nur etwa halb so viel Geld dafür aus wie Normalverbraucher. Das besagt der Preisindex für Pensionistenhaushalte, den eure Lobbyisten mit der Statistik Austria erfunden haben, um zu begründen, warum euch mehr Geld aus dem Steuertopf zusteht als allen anderen. Wundert es euch denn gar nicht, dass überall in Europa Deflation herrscht, in eurer Parallelgesellschaft laut eurem Spezialindex aber nach wie vor die Preise steigen?

Ihr habt eure Zahlen, wir haben unsere. Belegen lässt sich alles und das Gegenteil davon, daher nur ein paar Kennziffern von Experten, denen auch ihr vertraut: der Statistik Austria. Das gesetzliche Pensionsalter liegt bei 60 (Frauen) und 65 (Männer), das tatsächliche bei 58 (Frauen) und 59 (Männer). Und in der Vorwoche belegte das Wirtschaftsforschungsinstitut, dass die Staatsausgaben für Pensionen rasant steigen, von 18 Prozent der jährlichen Budgetausgaben im Jahr 2000 auf fast 23 Prozent für 2010. In absoluten ­Zahlen: 16 Milliarden Euro zahlt der schwer überschuldete Staat kommendes Jahr für die Renten (Beamtenruhebezüge plus Zuschüsse zu Pensionen). Das Defizit 2010 macht 13 Milliarden Euro aus. Eine kleine Rechnung ergibt: Liebe Pensionisten, ihr werdet uns zu teuer. Um das zu verstehen, braucht man keinen eigenen Index.

Die Mails, die ihr uns schickt, dokumentieren vor allem Wut: über tatsächliche oder imaginierte Geldsorgen (die kennen wir auch); über das fehlende Verständnis von Politik und Öffentlichkeit für eure Probleme. Doch am schwersten kränkt euch die mangelnde Dankbarkeit der Jüngeren: für eure Leistungen, eure Aufbauarbeit, eure Selbstlosigkeit, euer Vermächtnis.
Um es kurz zu machen: Für Dankbarkeit unsererseits ­besteht keine Notwendigkeit.

Ihr ganz Alten redet ja gern vom Krieg und dass ihr Österreich danach wieder aus Trümmern aufgebaut hättet. Man darf in diesem Zusammenhang schon einmal darauf hinweisen, dass es auch eure Generation war, die dieses gute Land und ein paar benachbarte gleich dazu in Trümmer gelegt hat. Und ihr Jahrgänge 1945 und jünger, die ihr nun in die (Früh-)Pension gleitet, habt schon vom Wirtschaftswunder profitiert. Das ist euch nicht vorzuwerfen, aber werft es uns bitte auch nicht vor. Not, Elend und die Zeit, als Feinkost noch Fettware hieß, kennt ihr ebenso wenig wie wir. Und auch aus eurer Generation glauben wahrscheinlich genug, dass Hugo Portisch den Staatsvertrag unterschrieben hat.

Den Jüngeren ist der Krieg paradoxerweise näher als euch. Laut Wirtschaftsforschungsinstitut „schafft die akuelle Krise für die Budgetpolitik die schwierigsten gesamtwirtschaftlichen Rahmenbedingungen seit dem Zweiten Weltkrieg“. Die Forderung eurer Vertreter nach überdurchschnittlichen Pensionserhöhungen wird da zur Frivolität. Armut ist kein Exklusivleid der Alten. Ihr schreit, so wie die Studenten, nur besonders laut. Jedem Mindestrentner stehen Mindestlohnempfänger oder Jugendliche ohne Lehrstellen gegenüber. Die Rechte, die ihr wohl erworben haben wollt, kann die Generation Leiharbeit nicht mehr ­finanzieren, geschweige denn selbst erwerben.

Euch schmerzt die Wirtschaftskrise nicht. Dort, wo sie wirklich wehtut, ist sie noch nicht einmal richtig angekommen. Im Jahresschnitt 2009 wird es 65.000 Arbeitslose mehr geben als 2008, darunter viele Junge. Im kommenden Winter werden 400.000 Menschen ohne Job sein. Es ist die dramatischste Krise am Arbeitsmarkt seit jener in den dreißiger Jahren. Für die eine seid ihr zu jung, für die andere zu alt. Auch ihr habt keine Jobs, allerdings ein hohes arbeitsfreies Grundeinkommen bis zum Lebensende, finanziert durch eine Zwangsumlage der Beschäftigten und Milliarden­zuschüsse des Staates. Diese könnte man auch anders, etwa für Ausbildung, einsetzen. Das nennt man Verteilungskampf. Den wollen wir führen; bis zur Verteilungsgerechtigkeit. Ihr werdet euch wehren. Gut so. Eines solltet ihr dabei bedenken: Das letzte Hemd hat keine Taschen. Es bringt nichts, wenn ihr es uns auszieht. Ad multos annos!

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