Leitartikel: Christian Rainer

Christian Rainer: Suchtmaschine

Suchtmaschine

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Vergangene Woche verdrängte Google den erstplatzierten Apple-Konzern als wertvollste Marke der Welt.

Vor einem Monat schrieb Springer-Chef Mathias Döpfner in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“: „Wir haben Angst vor Google.“ Die Suchmaschine stelle ein „globales Netzmodell dar“, das sich gar anschicke, einen „Super-Staat“ zu errichten.

In seiner jüngsten Ausgabe zitierte „Der Spiegel“ in zwei Geschichten wortgleich den SPD-Vorsitzenden Sigmar Gabriel, wonach Europa „das Gegenteil“ von Google sei, „dieser totalitären Idee, jedes Detail menschlichen Verhaltens, menschlicher Emotionen und menschlicher Gedanken zum Objekt kapitalistischer Vermarktungsstrategien zu machen“.

Muss echt bedeutend sein, dieses Google, nicht wahr?

Tatsächlich hat nichts in den vergangenen Jahrzehnten unser Leben so verändert wie das Internet; im Internet ist nichts so wichtig wie die Suchmaschinen; und unter den Suchmaschinen ist Google mit 90 Prozent Marktanteil in Deutschland und Österreich und 70 Prozent weltweit ein Monopolist. Das Prekäre an dieser Konstellation: Selbst die schärfsten Kritiker sind starke Nutzer; vielleicht gerade sie: Mathias Döpfner etwa baut Springer zu einem digital getriebenen Konzern um – immer weniger Medienhaus, immer mehr Händler mit Ware und Dienst aller Art. Da ist er mitten drinnen im Schlamassel: „Google braucht uns nicht. Aber wir brauchen Google“, sagt er.

Diese Form der Koexistenz heißt im analogen Leben Sucht. Die Abhängigkeit ist einseitig, nur der Süchtige kennt die guten und die schlechten Seiten der Droge. Kommt er nicht los, endet das Verhältnis auch mal tödlich. Google, die schönste und die gefährlichste Annehmlichkeit der neuen Welt. Die Sache ist allerdings noch komplizierter.

Wer „Döpfner“ googelt, bekommt als ersten Vorschlag der Autocomplete Funktion die Wortkombination „Döpfner Google“ – eine Liste, die Vorschläge macht, was der Suchende gerade suchen könnte. Das bedeutet zweierlei.

Einerseits weiß Google selbst, dass der Springer-Chef in den vergangenen Wochen mit seinem Text über Google viel Wind gemacht hat. Das klingt sehr lustig, ist es aber nicht. Wer auch immer in nächster Zeit etwas über Döpfner erfahren will, bekommt ein Resultat aufgedrängt, das weit weg von der Vita des Mannes liegt. Denn Google selektiert mit einem nur Google bekannten Algorithmus. Wer an die Geschäftstüchtigkeit der Amerikaner glaubt, darf bei dieser Programmierung, bei den Vorschlägen und schließlich auch bei der Reihung der Resultate annehmen, dass sie dem weiteren Wachstum von Google dienen. Zudem: Wer in ferner Zukunft nach Döpfner fahndet, wird ewig Döpfners aktuelle Aussagen finden. Selbst wenn sie verfälscht wiedergegeben wurden oder er sie zwischenzeitlich revidiert hat.
Einem Spitzenmanager ist das so beschriebene Leben als Suchobjekt zumutbar, einem Durchschnittsbürger nicht: die durch Google manipulierte, in den Fakten vielleicht unrichtige ewige Abrufbarkeit von Persönlichkeitsmerkmalen, auch von intimen.

Die andere Seite: Die Autovervollständigung ist auch ein Ergebnis dessen, was Google über den Suchenden weiß, erfahren hat, eben neu erfährt, sich ewig merken wird; die Suchresultate sind es auch; die aufgerufenen Seiten erst recht. Was war in der Vergangenheit wichtig für mich, was hat mich wie lange und wo beschäftigt, wonach habe ich in der Folge gesucht, was gekauft, wo wohne ich, wie alt bin ich, mit wem kommuniziere – und schlafe – ich? Wissen oder Kontrolle über diese Fragen, über richtige wie auch falsche oder verfälschte Antworten, die Google kapitalisieren kann, hat der Google-Nutzer nicht.

Wir sind Nutzer der Suchmaschine und auch ihre Opfer, als Gesuchte wie auch als Sucher. In Normaldosierung macht Google glücklich. Hoch dosiert macht es uns krank. Die Dosierung wird von einer mathematischen Verknüpfung bestimmt, die Google festlegt und verändert. Langfristig ist sogar das eine Illusion – da werden global verteilte Rechner und Speicherplatten alle Kontrolle über unser digitalisiertes Leben von den real existierenden Programmierern übernommen haben.

Was tun? Falls Sie diesen Text lesen, bevor Sie zur Wahl gehen: zunächst einmal dankbar sein, dass es die EU gibt. Ohne Union wäre Europa den US-Konzernen hilflos ausgeliefert; auch der amerikanischen Haltung, wonach Meinungsfreiheit immer über Privatsphäre geht. So gibt es immerhin eine gemeinsame Sicht der Dinge. Die Kommission in Brüssel macht dem Google-Boss ein Feuerchen unter dem Hintern. Deutsche Manager, Politiker, Richter äußern Unmut.

Das wird nicht reichen. Auch der Hinweis darauf nicht, dass Monopolisten sich oft selbst zerstören. Dieser Konzern ist irgendwie klüger, nicht bloß Zeiterscheinung. Ganz nebenbei zerstört er mit der Abpressung von geistigem Eigentum und in der Folge von Werbegeld auch jene, die ihn stören können, die klassischen Medien.

Was Google fürchten muss: nicht die Zerschlagung; nur seine Konsumenten. Wenn die Marke unsympathisch wird, uncool, dann werden die Süchtigen nach Ersatzdrogen suchen. Vielleicht auch, wenn die Debatte über Nebenwirkungen endlich geführt wird.

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