Leitartikel

Hallo, ÖVP- Wirtschaftskompetenz – ist da jemand?

Österreich droht abzusandeln, die Aussichten für den Herbst sind trübe. Meinungsstarke Symbolpolitik wie die Rettung des Bargelds wird da nicht weiterhelfen.

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Er gehört zu den erfrischenden Persönlichkeiten, die fachkundig Klartext reden und sich nicht vor unangenehmen Wahrheiten drücken: Gabriel Felbermayr, Chef des Wirtschaftsforschungsinstituts. Derzeit nimmt Felbermayr das gefürchtete R-Wort in den Mund: Rezession. Österreich schlittert bedrohlich auf ein Schrumpfen der Wirtschaft zu.

Überraschen kann diese bittere Tatsache nur Politikerinnen und Politiker, die Energie und Zeit damit vergeuden, hitzig über Neuwahltermine zu spekulieren, mit Schwung zur Rettung des Schnitzels auszurücken oder inbrünstig interne Intrigen zu schmieden. In derart putzigen Unwesentlichkeiten erschöpft sich die Innenpolitik zu häufig, dabei wäre Wirtschaft ein durchaus lohnendes Betätigungsfeld. Denn die ökonomischen Aussichten klingen seit Monaten trüb bis düster. Im Schnelldurchlauf: Stotternde Wirtschaft. Miserable Auftragslage in der Industrie. Steigende Arbeitslosigkeit, erstmals seit Anfang 2021. Sinkendes Bruttoinlandsprodukt. Absacken im Wettbewerbsfähigkeits-Ranking um erkleckliche acht Plätze auf Rang 24 (unter 63 Staaten) seit 2020. Spitzenreiter ist Österreich nur in Negativ-Bereichen: Die Lohnstückkosten sind hoch, die Inflation bleibt mit 7,5 Prozent deutlich über dem Euro-Schnitt, aus gutem Grund stöhnt die Bevölkerung unter hohen Mieten und (Energie-)Preisen.

Kurz: Alle Wirtschaftsdaten weisen eindeutig in eine Richtung – leider in die falsche. Dennoch bleibt die Regierung im Superlativ und versichert treuherzig, dass Österreich am supertollsten von allen Staaten durch die Krisen gekommen sei.

Wahr ist – leider – das Gegenteil: Österreich sandelt ab.

Klar: Auch andere Länder schwächeln, Nachbar Deutschland etwa steckt im Tief, außerdem kann nicht für jedes Krisenphänomen die Regierung als Sündenbock verantwortlich gemacht werden. Aber: Die ökonomische Gemengelage müsste derzeit Alarmglocken schrillen lassen. Hohe Inflation, drückende Teuerung, maue bis miese Wirtschaftsaussichten, EZB-Zinslotterie: Die Lohnverhandlungsrunden werden oft aus Folklore zum Drama hochgejazzt, das nicht ohne durchverhandelte Nächte auskommt. Diesmal wartet aber wirklich ein heißer Herbst. Die heikle Balance zwischen dem – berechtigten – Drängen der Arbeitnehmer auf ein kräftiges Lohn-Plus nach enormer Teuerungsbelastung und der – ebenso berechtigten – Sorge von Unternehmen, dass zu hohe Gehaltssteigerungen die Wirtschaftsaussichten weiter trüben, ist heuer schwer zu finden. Und wird zur Belastungsprobe für beide Seiten.

Nun rächen sich Versäumnisse und Zuwarten: Zu lange haben Bundes- und Landesregierungen zu wenig zielgerichtet gegen die Inflation gekämpft, zu viel Geld mit zu viel Gießkanne ausgeschüttet und zu achselzuckend hingenommen, dass ein Zehntel der Preise – etwa Müllgebühren – bei der öffentlichen Hand liegt, aber automatisch steigt. Das saloppe Motto „Koste es, was es wolle“ kommt verflixt teuer, nicht zuletzt, weil die Zinsen für die Staatsschulden in die Höhe klettern.

Das wäre eigentlich der perfekte Moment für die ÖVP, ihre einstige Stärke wiederzuentdecken, die zuletzt reichlich verschüttging: die Definition als Wirtschaftspartei. Hallo, Wirtschaftskompetenz in der ÖVP, ist da noch jemand? Unter Parteichef und Kanzler Sebastian Kurz, Meister der glitzernd inszenierten Showpolitik, rückten Asyl, Balkanroute und Migration zu Top-Themen der ÖVP auf – knochentrockene, aber wichtige Bereiche wie Budgetdisziplin, Steuer- und Wirtschaftspolitik rangierten unter ferner liefen. Genau derartige Expertise wäre aber derzeit gefragt. Meinungsstarke Symbolpolitik, von Gendern über Bargeld-Rettung bis Normal-Debatten, wird gegen die herandräuende Wirtschaftsmalaise nicht weiterhelfen. Der alte amerikanische Wahlkampf-Hit „It’s the economy, stupid“ gilt wieder. Nicht ohne Grund dominierte das Thema „Teuerung“ bei den Landtagswahlen von Tirol bis Niederösterreich – und liegt auch in der aktuellen profil-Umfrage deutlich auf Platz 1.

Mehr noch: Die drohende Rezession ist nicht das einzige Warnsignal. Das Bildungssystem macht mit Lehrermangel Negativschlagzeilen. Das Gesundheitssystem laboriert unter überlasteten Spitälern und fehlenden Arztterminen. Hohe Lohnkosten sind Langzeitthema, die Steuern auf Arbeit zu hoch – genauso wie die Pensionsausgaben, von der Arbeitsgruppe „länger Arbeiten“ hat man leider schon länger nichts mehr gehört. Diese Melange verstärkt den Eindruck: Österreich scheint dabei, als Wirtschafts- und Wohlstandsstandort an Boden zu verlieren.

Es könnte ein lohnender Versuch sein, sich als Regierung entschieden dagegenzustemmen. Die Abschaffung der kalten Progression, Entlastung der kleinen und mittleren Einkommen, ist ein richtiger und wichtiger Schritt, weitere müssen folgen. Ja, das ist anstrengend und kompliziert, in einem anlaufenden Wahljahr besonders.

Aber was ist die Alternative? Wie das Kaninchen vor der Schlange ängstlich auf den möglichen Wahlerfolg der FPÖ zu starren?

Eva   Linsinger

Eva Linsinger

Innenpolitik-Ressortleitung, stellvertretende Chefredakteurin