Peter Michael Lingens

Peter Michael Lingens Der Vermögenssteuer-Boykott

Der Vermögenssteuer-Boykott

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Finanzminister Hans Jörg Schelling will die sechs Milliarden Euro zur Absenkung der Steuern auf Arbeit „vollständig ohne neue Steuern“ aufbringen. Wenn er das tut, indem er die Ausgaben des Staates in diesem Ausmaß kürzt, wird er als Totengräber der Rest-Konjunktur in die Geschichte eingehen. Noch bin ich aber zuversichtlich, dass er sich eines Tricks bedient: Wenn er bei Grundstückstransaktionen statt der Einheitswerte sukzessive die Verkehrswerte zugrunde legt, kommt er auch unter Anwendung des aktuellen Grundsteuersatzes zu respektablen Mehreinnahmen – und hat keine neue Steuer eingeführt.

Dass die ÖVP jede Art der Vermögenssteuer für verzichtbar hält, kann ich nicht glauben – obwohl die jüngste Aktivität von Bundeswirtschaftskammer und Industriellenvereinigung diesen Eindruck erweckt: In einer gemeinsamen Kampagne wollen sie die Bevölkerung über die Widersinnigkeit von Vermögenssteuern aufklären. Ein „unintelligentes Auslaufmodell“ nannte sie Ex-VP-Finanzsprecher Günther Stummvoll in ihrem Auftrag.

Tatsächlich gibt es die klassische Vermögenssteuer, bei der alle Vermögenswerte bis hin zum Ehering versteuert werden müssen, nur noch in der Schweiz. Nur dass niemand dergleichen für Österreich fordert. Wie überall in der Welt meint man „vermögensbezogene Steuern“ wenn man von „Vermögenssteuern“ spricht. Und diese Steuern – voran Grundsteuern – gibt es überall. Schenkungs- und Erbschaftssteuern darüber hinaus in 19 Ländern der EU, in Japan oder den USA.

Natürlich gehen auch alle internationalen Vermögenssteuer-Vergleiche von „vermögensbezogenen Steuern“ aus. Die „Süddeutsche Zeitung“ leitete einen solchen Vergleich im Dezember 2013 mit folgenden Worten ein: „In keinem großen Industriestaat werden Vermögen so gering besteuert wie hierzulande. Die britische Regierung etwa verlangt ihren ‚Reichen‘ sechs Mal so viel ab wie die deutsche. Unter allen OECD-Ländern liegt die Bundesrepublik mit einem BIP-Anteil der vermögensbezogenen Steuern von gerade einmal 0,6 Prozent an 35. Stelle. Der Durchschnitt beträgt 1,3 Prozent, und vorne liegen nicht vielleicht die Sozialstaatsbefürworter aus Frankreich, sondern ausgerechnet die Gralshüter des Kapitalismus: Großbritannien mit 3,6, Kanada mit 3,3 und die USA mit 3,2 Prozent.“

Österreichs Vermögenssteuer-Aufkommen betrug gemäß dem damaligen Zahlenmaterial nicht wie das deutsche 0,6, sondern 0,3 Prozent des BIP.*
Aber WKO und IV wollen die Bevölkerung darüber aufklären, wie widersinnig eine Erhöhung wäre.

Viel Glück. Bei Menschen vom Sachverstand Günther Stummvolls mag das gelingen.

Natürlich sind die OECD-Zahlen nicht bis auf hundertstel Prozente vergleichbar – in Österreich kommen manche Gebühren Steuern gleich und müssten addiert werden; auch darüber, ob die Vermögen ganz so ungleich verteilt sind, wie die Nationalbank behauptet, mag man diskutieren: Gott sei Dank wird die extreme Ungleichheit durch ein hohes Maß an Umverteilung im Wege von Sozialleistungen etwas gelindert. Auch die besonders hohen Vermögenssteuern etwa Englands haben mit Besonderheiten der Berechnung zu tun. Aber am „generellen Bild“, so WIFO-Expertin Margit Schratzenstaller, „ändert dies wenig“. Oder, wie es die „SZ“ angesichts der OECD-Vergleichsgrafik formulierte: „Es gibt Schaubilder, deren zentrale Botschaft so klar erscheint, dass man sich gar nicht vorstellen kann, wie sich daran ein Streit entzündet.“

Nun sind WKO und IV natürlich Interessensvertretungen – und vertreten zwangsläufig eher Vermögende. So wie es nicht rasend verwundern konnte, dass die „Kronen Zeitung“ des Milliardärs Hans Dichand wütend gegen Vermögenssteuern polemisierte, kann auch ihre Polemik nicht rasend verwundern. Zumindest dann nicht, wenn man einen wesentlichen Unterschied in der Auffassung guten Wirtschaftens zwischen Österreich und der Schweiz oder den USA in Betracht zieht: In Österreich will die Politik – von der Gewerbeordnung über die Schulbildung bis zu den Steuern – vor allem vorhandenen Wohl- und Besitzstand bewahren; in den USA oder der Schweiz will man das Schaffen neuen Reichtums erleichtern.

Ich möchte den mentalen Unterschied an der vom Wirtschaftsbund so heftig abgelehnten Erbschaftsteuer illus­trieren. Derzeit beträgt sie in den USA nach einer Absenkung in der Ära Bush „nur“ noch 35 Prozent – davor ist sie bei 55 Prozent und mehr gelegen.

Dahinter steht die Philosophie, dass jeder Mensch sein Vermögen tunlichst eigener Leistung verdanken soll. Beziehungsweise, dass jeder junge Mensch dazu angestachelt werden soll, eigenen Wohlstand zu schaffen, statt sich auf dem elterlichen Wohlstandskissen auszuruhen. „Erben“ ist für die Verfechter einer dynamischen Wirtschaft das absolute Gegenteil von „Leistung“: ein erheblicher Vermögenszuwachs, zu dem man absolut nichts beigetragen hat.

Das aber ist genau der Vermögenszuwachs, den der ­Wirtschaftsbund unter allen Umständen steuerfrei halten will. Es entspricht seinem Wirtschaftsverständnis.

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