Leitartikel: Herbert Lackner

Herbert Lackner Ein Staat in Totenstarre

Ein Staat in Totenstarre

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Politiker haben es nicht leicht. Die Grenzen des Machbaren sind in Zeiten globaler Finanzkrisen und Wirtschaftsflauten schnell erreicht. Das Publikum erwartet von ihnen manchmal Wunderdinge, die selbst größere Staatsmänner als jene, die eben am Werk sind, nicht liefern könnten. Die Finanzdecke ist kurz, die Schulden steigen, und die Neuigkeiten, die von draußen reinkommen, sind auch nicht beruhigend.

Gute Politiker stemmen sich in Zeiten wie diesen nach Leibeskräften gegen den Sturm und versuchen, das Dach am Haus zu halten. Weniger gute Politiker tun nichts. Schlechte Politiker verhöhnen dann auch noch die Wähler. Wie in ­Österreich.

Die beiden Regierungsspitzen sagen der Bevölkerung derzeit sinngemäß Folgendes: „Liebe Leute, im kommenden Herbst müssen wir euch leider ordentlich rupfen, aber listigerweise verraten wir euch nicht, wie. Denn in der Steiermark und in Wien wird gewählt, und wenn wir euch sagen, was wir vorhaben, wählt ihr uns womöglich nicht. Also: Wählt uns – und hinterher greifen wir euch in die Tasche. Beschweren könnt ihr euch dann beim Salzamt.“

Frappierenderweise versucht die Regierung gar nicht, diese die Wähler zu Tölpeln erklärende Taktik zu verschleiern: In fast schon rührender Ehrlichkeit wird die Weigerung, das Budget und damit die Sanierungsmaßnahmen zeitgerecht ­Mitte Oktober vorzulegen, mit den beiden Landtagswahlen begründet. Erst am 1. Dezember will sich der Finanzminister vor dem Parlament erklären. Da liegt schon der erste Schnee.

Dass dies verfassungswidrig ist, stört die Damen und Herren in der Regierung, die eben noch die Abschiebung eines siebzehnjährigen Mädchens mit der Ehrfurcht vor der Bundesverfassung begründet hatten, sehr wenig.

Damit halten wir beim Paradoxon, dass die staatlichen Ins­titutionen in einer der schwierigsten Situationen der ­österreichischen Nachkriegsgeschichte in eine Art Totenstarre verfallen. Den Plenarsitzungen des Nationalrats liegt seit Monaten nur noch eine erschreckend dürre Tagesordnung vor. Bis auf die Mindestsicherung, also die Vereinheitlichung der unterschiedlichen Sozialhilfesätze der Länder, gab es kaum nennenswerte Beschlüsse. Die Einführung des „Transferkontos“, einer Auflistung der staatlichen Leistungen (man wundert sich, dass es das nicht schon längst gab), wurde in dieser Ödnis schon als Meilenstein gefeiert. Jetzt ist ohnehin zwei Monate lang Pause: Der Nationalrat tritt erst am 22. September wieder zusammen, sollte die Opposition nicht vorher eine Sondersitzung verlangen.

Wann die Arbeitsgruppe zur Verwaltungsreform wieder tagt, ist überhaupt ungewiss. Fest steht nur: nicht mehr in diesem Sommer. Und der vor der Fertigstellung stehende Rechnungshofbericht über das Finanzdebakel beim Bau des neuen Skylinks am Flughafen Wien soll, wie man hört, ebenfalls entschleunigt werden: Doch nicht vor den Wahlen!

Erhöhung der Beamtengehälter? Eine Entscheidung fällt nicht vor Anfang November. Pensionserhöhungen? Den Beschluss gibt es, wenn der Nikolo an die Tür klopft. Und das neue Lehrerdienstrecht hat ohnehin schon Verspätung – da kommt es auf die paar Monate auch nicht mehr an. Die nach dem Wirbel um ein Erstaufnahmelager in Eberau im vergangenen Winter eingesetzte Arbeitsgruppe Asylrecht, geleitet von Innenministerin Maria Fekter und Verteidigungsminister Norbert Darabos, ist offenbar auch noch nicht weit gekommen: Man streitet weiterhin über die Frage, ob Asylwerber nach der Ankunft vorerst einmal interniert werden. Das ist der Stand vom vergangenen Jänner.

Auch im Ministerrat geht nichts mehr. Am Beispiel der vergangenen Woche: Die SPÖ stimmte Josef Prölls Finanzstrafreform nicht zu, worauf die ÖVP eine von der SPÖ ­angestrebte Änderung des Gesetzes über die Parteiakademien ablehnte. Die SPÖ mochte der geplanten Kapitalspritze von 550 Millionen für den Verbund (schwarzer Generaldirektor) nur dann zustimmen, wenn die ÖBB (roter Generaldirektor) ebenso viel Geld bekommen. So stellt sich der kleine Maxi zu Recht die Politik vor.

Wir werden also noch eine ganze Weile nicht wissen, wie die beiden Regierungsparteien das marode Budget zu sanieren gedenken – was sie nicht wollen, wissen wir längst. Die SPÖ will keine Erhöhung der Mineralölsteuer (die ÖVP schönt sie zur „Öko-Steuer“) dafür eine Erhöhung der Grundsteuer. Das will wieder die ÖVP nicht und denkt an Einsparungen bei Sozialausgaben. Nein, meinen die Sozialdemokraten und verlangen eine „Reichensteuer“. Unsinn, murrt die Volkspartei und fordert ein Aus für die „Hackler“-Pension.

So zieht also der Sommer ins Land, die Tage werden kürzer, und täglich fällt einem der Akteure eine neue Spar- oder Steuermaßnahme ein, die – man kann schon fast die Uhr danach stellen – binnen zwei Stunden von einem Vertreter der jeweils anderen ­Regierungspartei als Unfug abgetan wird.

Das alles begleitet uns noch zweieinhalb Monate lang. Dann wird gewählt. Und sollte die Wahlbeteiligung etwas enttäuschend ausfallen, werden die Parteisprecher wieder grübeln, wie das nur kommen konnte.
Wir haben einen Verdacht.

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