Österreich bekommt ein Problem: Der Politik geht der Nachwuchs aus

Herbert Lackner: Stark im Abgang

Stark im Abgang

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Die eine wird bald 33, die andere ist 42, und er feiert im August seinen 30er. Dass SPÖ-Bundesgeschäftsführerin Laura Rudas (SPÖ), die steirische Gesundheitslandesrätin Kristina Edlinger-Ploder und der Vorsitzende der Sozialistischen Jugend, Wolfgang Moitzi, vergangene Woche innert 48 Stunden das Ende ihrer kurzen politischen Laufbahn verkündeten – und zwar aus freien Stücken –, ist Zufall, jedoch bezeichnend. Es gab wohl keine Phase der österreichischen Nachkriegszeit, in der Politik – als Staatskunst wie als Beruf – so unattraktiv war wie heute.

Kaum jemand unter 30 drängt noch in die Politik, und wer drängt, ist ohnehin verdächtig. Sebastian Kurz verdankt seine hohen Sympathiewerte neben seinem unbestreitbaren Talent auch der Tatsache, dass er eine absolute Rarität ist: Ein 27-Jähriger, dem das auch noch Spaß zu machen scheint – bravo! Und der Umstand, dass etwa in der SPÖ ein bald 63-Jähriger am häufigsten als Nachfolgekandidat für den Sessel des Wiener Bürgermeisters, des Parteichefs und Bundeskanzlers und schließlich auch des Bundespräsidenten genannt wird – Rudolf Hunds-torfer, wer sonst? –, sagt ohnehin alles.

Warum sollte sich ein gut ausgebildeter junger Mensch in den Anfangsjahren seiner beruflichen Karriere aber auch die für höhere politische Weihen unabdingbare Ochsentour in den Parteien antun? Jahrelang Sektionsabende, Bauernbundbälle, Seniorenjausen, Flugblattaktionen, Wochenendseminare – und wofür das alles?
Hat man es geschafft und erringt – sagen wir mit Mitte 30 – einen Sitz im Nationalrat, bleiben von den rund 8300 Euro brutto pro Monat im Durchschnitt 2500 bis 3000 Euro netto, weil nicht nur Steuern und Sozialabgaben fällig werden, sondern sich auch die Parteien ihren Teil am Abgeordnetenbezug holen: „Klubabgabe“ und „Parteisteuer“ heißen diese Zwangsgebühren. Wiener SPÖ-Abgeordnete, die neben dem Mandat einem Zivilberuf nachgehen, müssen auch noch zehn Prozent ihres privaten Bruttoeinkommens der Partei abliefern. Und jeder Mandatar ist gut beraten, seinen Beruf – so er nicht Parteiangestellter oder Beamter ist – nicht ganz zu vernachlässigen: Politik-Jobs sind befristet, nach zwei, drei Jahren kann schon wieder alles vorbei sein.

Parteien und Parlamentsklubs begründen die Schröpfung ihrer Mandatare mit dem Umstand, dass sie für diese schließlich Serviceleistungen erbringen. Das geht vom Gedanken eines an sich „freien Abgeordneten“ aus, der bloß die technische und ideelle Hilfe jener Partei in Anspruch nimmt, auf deren Liste er steht.

Diese vorgegaukelte Freiheit des Mandats endet im politischen Alltag allerdings rasch. Als es die 26-jährige SPÖ-Abgeordnete Daniela Holzinger aus Oberösterreich vergangene Woche wagte, sich entgegen der Koalitionslinie für einen Untersuchungsausschuss in der Causa Hypo auszusprechen, war in der Klubsitzung Feuer am Dach: „Ein Kollege hat gesagt, ich soll den Klub verlassen“, erzählte die gemaßregelte Jungabgeordnete nach der Kopfwäsche etwas konsterniert.

Warum also sollte sich das jemand antun wollen? Ein Gehalt, das sich mit einigermaßen solider Ausbildung – und davon wollen wir bei Abgeordneten doch ausgehen – auch in einem zivilen Beruf verdienen lässt; ein Leben unter dem Joch der unnachgiebig eingeforderten Parteidisziplin und mit dem Sozialprestige eines Straßenräubers?

Denn inzwischen schlägt der Politik ja fast blinder Hass entgegen. Man mag Laura Rudas nicht für eine politische Koryphäe halten – aber dass ihr nach der Rücktrittserklärung in den Internet-Foren in einem Ton nachgetreten wird, als sei sie an jedem Elend seit dem Dreißigjährigen Krieg schuld, ist einfach absurd. In der Steiermark waren die Netz-Attacken gegen die scheidende Gesundheitslandesrätin Kristina Edlinger-Ploder (ÖVP) derart ordinär, dass sich die SPÖ-Landesrätin Bettina Vollath am Freitag in einem scharfen Interview in der „Kleinen Zeitung“ gegen die anonymen Hetzer verwahrte.

Noch einmal gefragt: Warum sollte sich jemand ohne Not dem allen aussetzen und in die Politik gehen?

Die Konsequenz der Abstinenz der Jungen ist allerdings unerfreulich: Künftig werden sich vor allem die Traditionsparteien SPÖ und ÖVP noch mehr als bisher aus dem Kreis der Parteiangestellten, Gewerkschaftsfunktionäre, Kammerbediensteten und Beamten erneuern und die Freiheitlichen eben noch ausgiebiger in den Buden der Burschenschaften fischen.

Oder die Politik bleibt gar unterbelichteten Söldnergruppen wie jenen überlassen, die in den vergangenen Jahren zwischen FPÖ und BZÖ herumvazierten, um schließlich beim Team Stronach zu landen.
Sind das die Kräfte, denen wir Gesetzgebung und Kontrolle dieses Landes überlassen wollen? Österreich hat ein Problem.

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