Die Krise der österreichischen Politik ist auch eine Krise des politischen Personals

Herbert Lackner: Werner who?

Werner who?

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Man hat diese Pressefotos in Schwarz-Weiß noch vor Augen: Die neue Bundesregierung, an der Spitze Kanzler und Vizekanzler, überquert den Ballhausplatz, um sich vom Bundespräsidenten angeloben zu lassen. Auf dem Platz haben Passanten ein Spalier gebildet und begrüßen die neuen Regierungsmitglieder mit Applaus, diese winken – den Hut in der Hand – freundlich zurück.

Gute alte Zeit. Sie ist vor etwa 20 Jahren zu Ende gegangen. Heute steht bestenfalls gar niemand auf dem Ballhausplatz. Wenn es dumm läuft, so wie heuer, gibt es eine Demo.

Noch keine österreichische Bundesregierung – die fatale Schüssel-Haider-Koalition ausgenommen – wurde so unfreundlich begrüßt wie die gegenwärtige. Außer den mit Inseraten umschmeichelten Boulevardblättern fand kaum ein Medium ein gutes Wort für den alt aussehenden Koalitionspakt. Keine Umfrage, in der die Schon-wieder-Koalierer nicht Beliebtheitswerte wie ein verdorbener Magen am Weihnachtsabend aufwiesen.
Mag sein, dass manche Kritik überzogen war. Auch frühere Regierungsabkommen sprühten nicht immer vor weltbewegenden Ideen und glänzten selten durch kühnen Mut. Und die Lage im Land ist jedenfalls besser als die Stimmung.
Woher aber kommt dann der Grant? Warum dieser Misstrauensvorschuss? Wieso verzichtet praktisch kein Kabarett auf eine Lachnummer über Werner & Michi?

Am Tag ihrer Angelobung lag diese Bundesregierung in allen Umfragen bereits deutlich unter der absoluten Mehrheit. In einer vom „Standard“ veröffentlichten Erhebung gaben nur noch 18 Prozent der Befragten an, bei der Möglichkeit einer Direktwahl des Bundeskanzlers Werner Faymann zu wählen, Michael Spindelegger lag bei 13 Prozent. Eine knappe relative Mehrheit (19 Prozent) wünschte sich Heinz-Christian Strache als Bundeskanzler.

Nur zum Vergleich: Bruno Kreisky und auch noch Franz Vranitzky waren bei dieser „Kanzlerfrage“ hart an der 70- Prozent-Marke gelegen. Wolfgang Schüssel kam in seinen stärksten Zeiten auf Werte um die 40 Prozent, Alfred Gusenbauer lag in seinen besseren Tagen jenseits der 30-Prozent-Marke. Werner Faymann rangiert einmal über, dann wieder unter der 20-Prozent-Schwelle.
Das mögen Momentaufnahmen sein, und manche Zahlen mögen innerhalb der statistischen Schwankungsbreiten liegen. Es ändert aber nichts am Grundbefund: Die Österreicher haben offenkundig kein Vertrauen in die Führungskraft des Führungspersonals.
Dieser Mangel an Autorität hat auch mit anderen Faktoren zu tun, etwa mit dem Zerfall der politischen Lager. Man befindet den Spitzenkandidaten einer Partei heute nicht mehr automatisch für gut, bloß weil die gesamte Familie seit Menschengedenken diese Partei gewählt hat. Der Verfall des Ansehens der Spitzenpolitiker ist auch ein Zeichen für den Bedeutungsverlust des Politischen insgesamt. Selbst die Lenker größerer Staaten stehen heute hilflos der Macht der „Märkte“ gegenüber. Politiker kleiner Länder wirken vor der Drohkulisse internationaler Großkrisen zwangsläufig zwergenhaft.

Das erklärt die miserablen Sympathie- und Vertrauenswerte der österreichischen Regierungslenker aber nur zum Teil. Faktum ist: Die Öffentlichkeit sieht sich am gegenwärtigen politischen Spitzenpersonal aus gutem Grund zunehmend satt: Werner Faymann und Michael Spindelegger halten heute dieselben Reden, die sie in den Monaten und Jahren vor der Wahl gehalten haben, sie streiten über dieselben Dinge, ihre wöchentliche Pressekonferenz nach dem Ministerrat ist ein ermüdendes Déjà-vu. Man weiß von Werner Faymann, dass er gesinnungstreu ungefähr dieselben Positionen vertritt wie als SJ-Obmann; man weiß, dass Michael Spindelegger ein prinzipienfester und eher konservativer Katholik ist.

Das ist durchaus ehrbar, aber ist das alles?

Wie denkt Werner Faymann etwa über die Schuldfrage im Ersten Weltkrieg, um bei einem aktuellen Debattenthema zu bleiben? Was hält Michael Spindelegger von der Stellung der Frau in der Kirche? Wie analysieren die beiden die Zukunft der Medien in der digitalen Welt? Wie sehen sie Edward Snowden? Wann waren sie zuletzt im Kino? Welches Buch hat sie im vergangenen Jahr beeindruckt, welche Musik hören sie? Warum scharen sie nicht zwei, drei Mal im Jahr die klügsten Köpfe dieses Landes um sich und diskutieren mit ihnen einen ganzen Tag lang?

Die größte Aufmerksamkeit auf der politischen Bühne finden derzeit NEOS-Chef Matthias Strolz und Landwirtschaftsminister Andrä Rupprechter. Der eine prägte sich einer breiteren Öffentlichkeit als meditierender Umarmer von Bäumen im Wienerwald ein, der andere als Herz-Jesu-Beschwörer. Weder das eine noch das andere ist besonders pfiffig oder gar nachahmenswert. Aber es ist wenigstens etwas anders, weniger grau, weniger erwartbar. Und danach besteht offenkundig sehr großes Bedürfnis.

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